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July 29, 2016 | Author: Paulina Engel | Category: N/A
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Hitler, Anhänger in Bückeberg 1935: Menschenmaterial für das Rasse-Imperium

ZEITGESCHICHTE

Die Schlacht der Frauen Nach der Nazi-Ideologie sollten die Frauen den Herd hüten und viele Kinder bekommen. Unter dem Primat des Krieges war ihre Arbeitskraft jedoch in der Industrie gefragt. Eine Fernsehdokumentation schildert das Leben prominenter und einfacher Frauen – und was sie vom Holocaust wussten.

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ie Nazis, die etwas zu sagen hatten, waren ausnahmslos Männer. Unter den Reichs-, Kreis- und Ortsgruppenleitern der NSDAP fand sich kein weiblicher „Goldfasan“, erst recht nicht bei der Gestapo und den mordenden Einsatzgruppen oder den KZ-Kommandanten. Nur auf der untersten Stufe der Terror-Hierarchie durften knüppelbewehrte Lager-Aufseherinnen inhaftierte Frauen schinden. Es gab im Dritten Reich keine Richterinnen oder Managerinnen; Schuldirektorinnen mussten ihren Posten aufgeben. Frauen durften nicht ohne Zustimmung ihrer Männer arbeiten, ein Numerus clausus hielt die meisten von den Universitäten fern. Nicht einmal als Lehrerinnen waren sie gern gesehen. Frauen, erklärte Adolf Hitler, haben „keine Sehnsucht nach dem Büro und dem Parlament. Ein trautes Heim, ein

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lieber Mann und eine Schar glücklicher Kinder steht ihrem Herzen näher“. In ihren höheren Rängen duldeten die Nazis lediglich eine einzige „Reichsfrauenführerin“, Gertrud Scholtz-Klink. Hitler nannte sie seine „Paradefrau“. Er selbst band sich erst am Tag vor seinem Selbstmord an Eva Braun, eine Ehe zum Sterben. Weit über 100 000 Bücher sind inzwischen über den Nationalsozialismus geschrieben worden – kein Wunder, dass sich nur ein Bruchteil davon mit der Mehrheit der Deutschen, den Frauen, beschäftigt. Erst jetzt, 55 Jahre nach Kriegsende, wenden sich die Wissenschaftler, aber auch das breite Publikum konzentriert den Frauen im Nationalsozialismus zu. Historikerinnen streiten in Fachzeitschriften und im Internet erbittert über die Rolle der Täterinnen beim Völkermord. Sie d e r

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debattieren darüber, ob der Nationalsozialismus unfreiwillig modern war, weil er die Integration der Frau in die Industriegesellschaft beförderte. Und sie stellen die schlichten Alltagsfragen: Wie lebten die Frauen im Dritten Reich? Waren sie wirklich nur Objekte der Männer oder Mittäterinnen? Was wussten diejenigen, die das Leben der Anstifter und Vollstrecker teilten, über die Barbarei und den Holocaust, und was dachten sie darüber? Zu Hunderten strömten ältere Damen ins Stuttgarter Rathaus zu Vorträgen über das Leben ganz normaler Frauen in der Nazi-Zeit. Da wolle eine Generation, sagt der NS-Historiker Gerhard Hirschfeld, am Ende ihres Lebens „mit bestimmten Teilen der Biografie ins Reine kommen“. Prominente Größen des Dritten Reichs wie Leni Riefenstahl sind gefragte Inter-

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DER SPIEGEL

HISTORIA

ben unter dem Hakenkreuz mit Frauen, die Mitläuferinnen im Dritten Reich waren oder einfach nur ihrer Arbeit nachgingen. Er wollte von ihnen erfahren, was sie vom Holocaust wussten und wie ihr Alltag aussah. Hausner befragte Hitlers Diener Wilhelm Schneider, seinen Telefonisten Rochus Misch und den Obersalzberg-Verwalter Herbert Döhring über das Verhältnis des „Führers“ zu Frauen. Die Entourage von ehedem erzählt vom distanzierten und gekünstelten Verhältnis Hitlers zu seinen Freundinnen. Der schickte ihnen Briefe im Wiener Intimstil, nannte sie „mein Prinzesschen“ oder „Tschapperl“. Eva Braun behandelte er wie eine Kurtisane: Vor aller Augen steckte er ihr Briefumschläge mit Geld zu; auf dem Berghof trat sie protokollarisch als Hausdame auf. In ihrer Gegenwart schwaFamilie Goebbels, Hitler 1938 dronierte er, dass „sehr intelligente MenHeile Scheinwelt in der Barbarei schen sich eine primitive und dumme Frau nehmen“ sollten. Von den sechs Frauen, denen Hitler in seinem Leben nahe stand, verübten oder versuchten fünf Selbstmord. Tiefere Gefühle hegte Hitler offenbar nur für seine Mutter, an deren Geburtstag er seit 1939 das Mutterkreuz verleihen ließ, und für seine attraktive, lebenslustige Nichte Geli Raubal, welche die Liebe seines Chauffeurs Emil Maurice erwiderte. Als Hitler davon erfuhr, entließ er ihn, machte sie zu seiner Hausner-Film: Briefe ans „Tschapperl“ Begleiterin. Eifersüchtig wachte er view-Partnerinnen. Auf der Frankfurter nach Schuld und Verantwortung wie über das Leben der Studentin, die am Ende Buchmesse bildeten Journalisten und Fern- die 68er, sondern wolle mehr über die versuchte, sich der Macht ihres Onkels zu sehteams dichte Belagerungsringe um die grundsätzliche Verführbarkeit des Men- entziehen. Am 18. September 1931 erschoss 98-Jährige, die mit dem Propagandafilm schen erfahren. Dieses Interesse beziehe sie sich in Hitlers Münchner Wohnung mit „Triumph des Willens“ Filmgeschichte die private Seite der Massenmörder ein, dessen Revolver, angeblich nach einem lautstarken Streit. Ihr Zimmer in seiner schrieb und sich bei Hitler anbiederte. Al- Ehefrauen inbegriffen. Der Münchner Filmemacher Thomas Wohnung am Prinzregentenplatz durfte lein in diesem Jahr sind zwei Biografien über die Riefenstahl erschienen, Jodie Fos- Hausner hat einen zweiteiligen Dokumen- nach ihrem Tod nicht verändert werden. tarfilm über beide Aspekte des Themas geFür den Privatmann Hitler dienten Frauter will einen Film über sie drehen. Bücher über die Gemahlinnen der NS- dreht – über „Hitlers Frauen“ und über en allenfalls als Ornament in seiner MänNomenklatura, die Klatsch, Tratsch und „Die Frauen und Hitler“ –, der nächste nerwelt. Der Ideologe Hitler verlangte von Wissenswertes oft zum Entsetzen der aka- Woche im Dritten Programm des Bayeri- ihnen, sie sollten das Menschenmaterial für sein Rassenimperium liefern: „Wenn demischen Koryphäen bunt durcheinander schen Rundfunks ausgestrahlt wird*. Elf Monate hat Hausner Dokumente ge- früher die liberalen intellektualistischen mischen, finden erstaunlichen Absatz. Die zwei Bände der österreichischen Autorin sichtet, Filmarchive durchwühlt und Zeit- Frauenbewegungen vom Geist ausgingen, Anna Maria Sigmund über „Die Frauen zeugen interviewt. Er sprach über das Le- dann enthält unser Programm nur einen einzigen Punkt: das Kind“, sagte der Nazis“ sind Bestseller; „Bild“ er 1937. Jede Geburt sei eine druckte Auszüge aus dem ersten Ungarische Juden in Auschwitz 1944: Schüsse vom Balkon „Schlacht“ der deutschen Frau, die Band. Als die Autorin Sibylle über „das Sein oder Nichtsein ihKnauss im SPIEGEL ankündigte, res Volkes“ entscheide. sie erwäge, einen Roman über Eva Schon die Zeitgenossen fanden Braun zu schreiben, bekam sie soes interessant, über Hitler und die fort Angebote von mehreren VerFrauen zu spekulieren. Sein exlagen. Da wachse, so meint die Wiener zentrisches Auftreten mit RegenHitler-Biografin Brigitte Hamann, mantel und Reitpeitsche in den eine neue Lesergeneration heran, frühen zwanziger Jahren, die hoeine „nüchterne Generation“, die moerotisch eingefärbte Schwärmeüber „den Nationalsozialismus lernt rei der Parteifreunde für den „unwie über das Mittelalter“. Sie stelle bezwinglichen Führer“, die Selbstnicht mehr anklagende Fragen mordversuche seiner Freundinnen ließen die Gerüchte wuchern. Von Hitlers magischer Anzie* Themenabend „Hitler und die Frauen“, 22. November, 19.30 bis 21 Uhr. hungskraft auf Frauen, von Ohn141

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Hitler, Braun 1942

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Ornament der Nazi-Männerwelt

Hitler, Raubal (um 1930)

Begleiterin des Onkels

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machtsanfällen und Schreikrämpfen bei seinen Auftritten berichten viele Zeitzeugen. Hitler selbst prahlte: „Gewöhnlich führen die Weiber, dann folgen die Kinder, und wenn ich schon die ganze Familie für mich gewonnen habe, folgen die Väter.“ Seine Gehilfen platzierten Frauen bei seinen Reden in den vorderen Sitzreihen. Er sollte „diese vor Entzückung gebrochenen, feuchten und verschleierten Augen der Hörerinnen“, so ein Mitarbeiter, sehen können. Die Bilder jubelnder Frauen, die den Führer wie einen Popstar anhimmelten, veran-

lassten Psychologen und Historiker zu tief schürfenden Betrachtungen über den Eros der Macht und die orgastischen Wirkungen des Führerkults. Die schicken Uniformen, die schneidige Sprache, die militärische Haltung hätten die Frauen fasziniert, meinte 1932 der belgische Sozialist Hendrik de Man. Auch der Münchner Filmemacher Hausner redet von „messianischen Anziehungskräften“ Hitlers auf die Frauen. Freilich gibt es Jubelbilder und Ergebenheitsergüsse auch von Männern – wie überhaupt jeder Beleg für die These fehlt, dass Frauen die überzeugteren Nazis gewesen seien. Bis 1928 wählte ein weitaus kleinerer Teil der Frauen als der Männer die NSDAP; danach wurde es ungefähr pari-pari. Als bei der Wahl des Reichspräsidenten 1932 Hitler gegen den greisen Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg antrat, stimmten die meisten Wählerinnen für den alten Mann. Allerdings waren es immer wieder politisierende Frauen, die Hitlers Aufstieg förderten. Die Verlegergattin Elsa Bruckmann und die Frau des Klavierfabrikanten Bechstein führten den ungehobelten Jungstar der rechten Republikhasser Anfang der zwanziger Jahre in die gehobene Münchner Gesellschaft ein, lehrten ihn, kommentgemäß Krebse zu essen, kauften ihm Anzüge und brachten dem Bohemien bürgerliches Benehmen bei. Bei den gelangweilten älteren Damen der Münchner Gesellschaft erweckte der bizarre junge Mann mit seiner affektierten Höflichkeit und seiner Naivität Mutterinstinkte. Er glaubt, schreibt der Hitler-Biograf Joachim C. Fest, dass es der „Gefühlsüberschwang einer bestimmten Gattung ältlicher Frauen“ war, der erst jenen schrankenlos überreizten, hysterischen Ton in den Führerkult hineingetragen habe, der auf Außenstehende so befremdlich wirkte. Hitlers Antisemitismus schreckte die Damen jedenfalls nicht. Das Verlagshaus

BDM-Ausflug 1938: Schönheitsideal Natürlichkeit

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Bruckmann publizierte antisemitische Schriften, die Familie Bechstein sympathisierte mit der NSDAP. Immer wieder halfen die weiblichen Stützen der gehobenen Gesellschaft aus, wenn die NSDAP in finanzielle Nöte geriet. Gertrud von Seidlitz zahlte aus den Erträgen ihrer finnischen Güter größere Summen in die Parteikasse, Helene Bechstein gab ihre Juwelen als Sicherheit für 60000 Schweizer Franken, die Hitler von einem Berliner Kaffeehändler lieh. Als der NSDAP 1926 die Pleite drohte, stellte Elsa Bruckmann den Kontakt zum Großindustriellen Emil Kirdorf her. „Kirdorf bezahlte alle Schulden“, notierte Hitler, „und machte die Partei wieder flott.“ Ohne Hilfe der Frauen, erklärte er später, „wäre es mir kaum möglich gewesen, die Partei aufs Neue zu organisieren“. An Hitlers Vorstellungen von der Bestimmung des weiblichen Geschlechts änderten die milden Gaben der Damen nichts. Seine antiquierten Auffassungen von der Rolle der Frau teilten in jener Zeit ohnehin viele Männer verschiedenster Schichten. Der Psychologe Erich Fromm befragte Ende der zwanziger Jahre Arbeiter und Angestellte nach ihrem Frauenbild: Zwei von dreien fanden, verheiratete Frauen gehörten an den Herd, Berufstätige galten ihnen als „Stellendiebinnen“; Puder, Parfum und Lippenstift fanden fast alle verwerflich. Bei ihren eigenen Frauen stießen die Nazis mit ihren Ideen von der Natürlichkeit als Schönheitsideal auf wenig Gegenliebe. Dem NS-Spruch „Die deutsche Frau schminkt sich nicht“ handelten Eva Braun oder Magda Goebbels, die mit sorgfältigem Make-up und exquisiter Garderobe Aufsehen erregte, zuwider. Auch am Herd mochten die Frauen der Nazis nicht stehen. Emmy Sonnemann, die zweite Gemahlin von Hitlers Paladin Hermann Göring, hatte als Schauspielerin Erfolge errungen, Henriette von Schirach mischte im Wiener Kunstleben mit, und Magda Goebbels wollte Chefin eines NSMode-Amtes werden. Ihr Mann, der Propagandaminister, untersagte ihr den Wunsch und bekam einen Riesenkrach. In seinem Tagebuch notierte er: „Wenn Magda sich nicht ändert, muss ich Konsequenzen ziehen.“ Sie sollte repräsentieren und jede Menge Kinder kriegen, eine Zumutung, die außer ihr (sechs Kinder) und Gerda Bormann (neun) keine der prominenten Nazi-Frauen befolgte. Den Auswirkungen des Mutterkults, den die Nazis nach der Machtübernahme 1933 pflegten, konnten sich weniger prominente Frauen nicht so leicht entziehen. Das Regime verschärfte die Verfolgung von Abtreibungen, Sexualberatungsstellen wurden geschlossen. Straflos abtreiben durften nur jene Frauen, auf deren Nachwuchs die rassewahnsinnigen Nazis keinen Wert legten. Später wurden sie umgebracht. Die 2,3 Millionen Mitglieder der „NSFrauenschaft“ propagierten die Rolle als

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KZ-Aufseherinnen in Bergen-Belsen 1945

Selektion der Opfer im Krankenrevier

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Heimchen am Herd mit Kochkursen und Säuglingspflege, mit Sonderabteilen für „Mutter und Kind“ in der Eisenbahn und mit Ehestandsdarlehen, die sich mit vier Sprösslingen „abkindern“ ließen. Besonders erfolgreich waren die Nazis nicht; der Trend zur Zwei-Kind-Familie blieb ungebrochen. Mit Vehemenz versuchten die Nazis, Frauen aus dem Beruf zu drängen. Beamtinnen, die von ihrer Familie unterhalten werden konnten, durften etwa in Preußen entlassen werden. Für Studentinnen gab es einen Numerus clausus. Die lukrativen Ehestandsdarlehen wurden nur gewährt, wenn die junge Gattin auf ihren Job verzichtete. Noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war die altbackene Frauenideologie auf der ganzen Linie gescheitert. Nachdem die Massenarbeitslosigkeit über-

wunden war, herrschte bald Mangel an Arbeitskräften. 40 Prozent der arbeitsfähigen Frauen mussten ohnehin arbeiten, um ihre Familien zu ernähren. 1938 waren mehr als anderthalb mal so viele Frauen in der Industrie beschäftigt wie 1933. Anstatt Frauen an den Herd zu schicken, erhöhten die Nazis moderat die Löhne. Ingenieure bauten schwere Maschinen so um, dass Frauen sie bedienen konnten. Industriesoziologen berieten über Halbtagsschichten, Suppenpausen und pastellfarbene Wände als Berufsanreiz für Frauen. Der Numerus clausus für Studentinnen wurde faktisch gelockert. Bis in die Niederlage 1945 wagte Hitler es nicht, alle Frauen zwangsweise für einen Masseneinsatz in der Rüstungsindustrie zu mobilisieren. Er befürchtete einen Aufstand an der Heimatfront. Vergebens rechnete ihm Rüstungschef Albert Speer vor, dass fünf Millionen Frauen in den Fabriken drei Millionen Arbeiter für die Wehrmacht freisetzen könnten. Hitler wollte nur „sanften moralischen Druck“ ausüben: durch Propaganda. Publikumswirksam nahmen Prominentenfrauen wie Magda Goebbels am „Kriegshilfsdienst“ teil; sie arbeitete bei der Rüstungsfirma Telefunken. Zur Fabrik fuhr sie mit der Straßenbahn. Am Ende des Dritten Reiches waren mehr Frauen berufstätig als vor dem Krieg. Sie arbeiteten in „artfremden“ Berufen in Schwerindustrie und Rüstungswirtschaft; in den letzten Wochen vor dem Ende kämpften Frauen vereinzelt sogar an der Front. „Ich würde mich schämen, ein deutscher Mann zu sein“, hatte Hitler vor dem Krieg erklärt, „wenn jemals auch nur eine Frau an eine Front gehen müsste.“ Die Nazi-Prominenz ließ sich bis zuletzt von ihren Frauen zu Hause die Gegenwelt zum Krieg bauen. Die privaten Sequenzen

Sowjetische Zwangsarbeiterinnen bei VW in Wolfsburg 1943: An den Opfern bereichert

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aus dem Leben der Nazi-Frauen, die Filmautor Hausner in seinem Dokumentarstreifen einspielt, geben davon einen Eindruck: Teetrinken mit Hitler auf dem Berghof, Essen mit den sechs Kindern in der Goebbels-Villa. Lange Zeit galt diese heile Scheinwelt als Kuriosität, als spießbürgerliche Beigabe eines mörderischen Regimes. Beschäftigen mochte sich damit kein ernsthafter Autor. „Das war verpönt“, sagt die Wiener Historikerin Hamann. Doch inzwischen interpretieren viele Historiker die privaten Gegenwelten als funktionalen Bestandteil der Barbarei. Aus den Frauen werden nach dieser veränderten Sichtweise Mitwisserinnen und Mittäterinnen. Als der Kommandant von Treblinka, Franz Stangl, befragt wurde, wie er seinen Alltag im Vernichtungslager habe ertragen können, antwortete er: „Ich weiß nicht. Vielleicht meine Frau. Vielleicht die Liebe zu meiner Frau.“ Der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß protokollierte in polnischer Haft: „Wenn man die Frauen mit den Kindern in die Gaskammern gehen sah, so dachte man unwillkürlich an die eigene Familie.“ Mit der wohnte Höß in einer Villa neben dem Lager, von seinen Massenmorden hätten seine Angehörigen aber „nie erfahren“, log er. Leute wie er hätten sich, erklärt die Historikerin Claudia Koonz den psychologischen Mechanismus, „mit einer strengen Aufspaltung des Lebens“ beholfen. Die private Welt sollte beweisen, „dass sie doch gar nicht so schlecht waren“. In den unteren Etagen der NS-Hierarchie wussten viele Frauen detailliert Bescheid über die kriminellen Aktivitäten ihrer Ehemänner. Ilse Koch, verheiratet mit dem Kommandanten des KZ Buchenwald, ritt täglich durch das Lager. Etliche Ehefrauen von SS-Führern lebten mit ihren Männern in den SS-Siedlungen der KZ oder in den Villen der Ghettokommandanten. Gattinnen der Totenkopfmänner nutzten Häftlinge und Zwangsarbeiter als Dienstboten und bereicherten sich am Gut der Opfer. „Nirgends gibt es schönere Korseletts als im Ghetto“, begründete die Ehefrau des Generalgouverneurs im besetzten Polen, Hans Frank, ihre Beutezüge durch das Krakauer Ghetto. Zehn Prozent des KZ-Personals waren weiblich, insgesamt über 3000 Frauen. KZ-Aufseherinnen selektierten die Opfer für die Gaskammern und für Erschießungskommandos in den Krankenrevieren und unter den Arbeitskommandos. Etwa 10 000 Frauen dienten in der SS; sie tippten die Mordbilanzen der Einsatzgruppen, leisteten Kurierdienste oder funkten Befehle. Dass man auch als einfache Wehrmachtshelferin das Morden mitbekam, berichtet in Hausners Film Ilse Schmidt, die sich 1940 freiwillig gemeldet hatte. Sie woll-

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STRENGHOLT TELEV. INT. / SPIEGEL TV

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marer Theaterdirektors und einer te aus ihrem Dorf in Brandenburg Amerikanerin, und bekam vier weg: „Ich hörte das Wort Paris Kinder. In der Pogromnacht am und war schon halb in Paris.“ Spä9. November 1938 fand eine jüditer wurde sie ins ukrainische sche Familie bei ihren Eltern ZuRowno versetzt, dort wurden die flucht, ihr Mann untersagte imJuden vor der Stadt erschossen. merhin seiner Hitlerjugend, an Das, erzählt sie vor laufender Kadiesen „verbrecherischen Aktiomera mit stockender Stimme, nen“ teilzunehmen. „war allgemein bekannt“. Doch als Gauleiter von Wien Etliche Frauen, die in den bewar er mitverantwortlich für die setzten Gebieten arbeiteten, waDeportation von 185000 Juden aus ren gieriger, als die Polizei erÖsterreich. Als im Herbst 1942 die laubte. Im April 1943 schrieb der Zahl der Wiener Juden auf 7000 Kommandeur der Sicherheitspoligesunken war, nannte Baldur von zei für Galizien nach Berlin: „Es Schirach das seinen „aktiven Beihat sich gezeigt, dass die Frau im trag zur europäischen Kultur“. DaZusammenraffen solcher Werte vor verschloss Frau Henriette fest viel bedenkenloser ist und weder ihre Augen, 1943 aber beobachteHemmungen noch Skrupel kennt, te sie in Holland den Abtransport wenn es gilt, sich in den Besitz eijüdischer Frauen und Kinder unnes begehrten Gegenstandes zu ter Fußtritten. Sie hörte ihr Weisetzen.“ nen und das Kommando: „Arier Manche mordeten selbst. Die zurückbleiben!“ Frau des Gestapo-Chefs von DroDarüber beschwerte sie sich hobycz in Galizien drosch mit eibei Hitler auf dem Berghof. Er ner Reitpeitsche auf Juden ein, habe geschrien, berichtete sie: die zur Deportation zusammen„Sie sind sentimental!“ Nie mehr getrieben worden waren. Ein Kind starb. Die Frau des Kom- Nazi-Propaganda 1936: „Die deutsche Frau schminkt sich nicht“ sei das Ehepaar Schirach auf den Obersalzberg zurückgekehrt, mandanten im Zwangsarbeiterlager Lemberg-Janovska soll wie der be- tor Arlosoroff, der in den zwanziger Jahren rühmte sich die tapfere Henriette. Ganz rüchtigte Amon Goeth vom Balkon ihrer in Palästina ein wichtiger Berater Chaim so war es nicht. Hitler hat nicht geWohnung auf Häftlinge im Lager geschos- Weizmanns war, der 1948 den Staat Israel schrien, wenige Monate nach dem Vorfall sen haben. mit ausrief und dessen erster Präsident war Baldur wieder auf dem Obersalzberg gelitten. Der Hauptmann Julius Wohlauf vom wurde. Auf Frauen konnte Hitler bis zum Polizeibataillon 101 lud seine Frau ein, Die überzeugte Zionistin Magda Friedbei einer Massenexekution von Juden in länder, geschiedene Quandt, wandelte sich Schluss zählen. In seinen letzten Tagen, im Polen zuzuschauen. Lina Heydrich, deren 1930 zu einer glühenden Nationalsozialis- Führerbunker in Berlin, waren drei um ihn. Mann als Chef des Reichssicherheitshaupt- tin, als sie Joseph Goebbels kennen lernte. Die fanatische Starpilotin Hanna Reitsch, amtes den Holocaust mitorganisierte, ließ 1937 wandte sie sich an die Deutsche die sich 1944 zum Kamikaze-Einsatz mit Zwangsarbeiter auspeitschen und bestand Arbeitsfront, um ein Modehaus am Berli- einer „bemannten Gleitbombe“ angebonach der Ermordung ihres Mannes auf blu- ner Ku’damm schließen zu lassen, dessen ten hatte, wollte ihn aus dem brennenden tigen Vergeltungsmaßnahmen gegen tsche- Eigentümer Jude war. Es sei ihr „persön- Berlin ausfliegen; er aber war zum Selbstchische Zivilisten. Lina Heydrich bekannte lich unangenehm, in den Verdacht zu kom- mord entschlossen. Eva Braun, nun seine sich zu ihrem Antisemitismus auch nach men, mich in einem jüdischen Modehaus Gattin, schloss sich ihm an. Magda Goebdem Ende der NS-Tyrannei; sie betrieb ei- einkleiden zu lassen“. Später verweigerte bels, der er als Zeichen besonderer Gunst nen Treffpunkt für Altnazis auf der Insel sie einer Jugendfreundin jüdischen Glau- sein Goldenes Parteiabzeichen schenkte, Fehmarn. bens die erbetene Hilfe. Die Frau wurde in flehte ihn vergebens an: „Verlassen Sie uns nicht.“ Die meisten prominenten Nazi-Frauen Auschwitz umgebracht. Am Tag nach Hitlers Selbstmord kleideteilten die Sicht ihrer Männer. In dem Etwas anders verhielt sich Henriette von vor wenigen Monaten veröffentlichten Ta- Schirach, die als Tochter des Leibfoto- te sie ihre sechs Kinder in Weiß, kämmte gebuch Margarete Himmlers finden sich grafen Heinrich Hoffmann von Hitler ihnen die Haare und ließ den fünf solche Sätze: „Diese Judengeschichte, schon in Kindheitsjahren regelrecht er- Mädchen und dem Jungen vom Arzt Gift wann wird das Pack uns verlassen, damit zogen worden war. Sie heiratete den geben. Danach nahm sie es selbst. man auch seines Lebens froh wird.“ Auch Reichsjugendführer Baldur, Sohn des WeiFritjof Meyer, Klaus Wiegrefe Gerda Bormann hegt dumpfen Antisemitismus: „Gefährlich sind die Juden, weil sie besessen sind von dem Glauben an ihre Weltherrschaft.“ Magda Goebbels wusste von ihrem Mann, dem Reichspropagandaminister, vom Holocaust. Ihr Antisemitismus gibt allerdings Rätsel auf, denn ihr Stiefvater Max Friedländer, an dem sie sehr hing, war jüdischen Glaubens. Ihre erste große Liebe galt zudem dem überzeugten Zionisten Vic- Tote Goebbels-Kinder, Goebbels’ Leichnam im Hof der Berliner Reichskanzlei 1945: Gift vom Arzt

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