Rahmenbedingungen der universitären Weiterbildung in Finnland ein Vorbild für Deutschland

February 7, 2017 | Author: Brit Wagner | Category: N/A
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Sabine Remdisch BIRGIT WECK Stefan Zapfel

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Rahmenbedingungen der universitären Weiterbildung in Finnland – ein Vorbild für Deutschland

Abstract In den europäischen Vergleichsdaten zeigt sich, dass Deutschland bezüglich Angebot und Umsetzung universitärer Weiterbildung unterdurchschnittlich positioniert ist. Dementsprechend gering fällt daher die Teilnahme an lebenslangem Lernen relational aus (Rat der Europäischen Kommission, 2004, S. 41; OECD, 2008, S. 405). Besonders eklatant ist der Unterschied in Bezug auf die skandinavischen Länder, in denen wissenschaftliche Fort- und Weiterbildungsangebote wesentlich umfangreicher insti­tutionalisiert sind. Der vor­liegende Artikel befasst sich mit dem Vergleich Finnlands, das im Gegensatz zu Deutschland hohe Partizipationswerte bei Erwachsenenbildungsprogrammen aufweist. Die ausgeprägte Beteiligung im finnischen Bildungssystem liegt unter anderem an der Expansion der Open Universities (European Commission, 2008a, S. 107). Der Zugang zu ihnen ist liberalisiert und sie vergeben Kreditpunkte nach Maßgabe des European Credit Transfer Systems (ECTS), die im europäischen Hochschulbereich die Funktion einer gemeinsamen Währung für den erbrachten zeitlichen Lernaufwand übernehmen (Adelman, 2008, S.16 ff.). Dadurch werden die Mobilität gefördert und Anrechnungsverfahren erleichtert. Im Vergleich von divergierenden länder­spezifischen Szenarien der Weiterbildung können begünstigende oder beein­trächtigende Rahmenbedingungen identifiziert werden. Die Machbarkeit der Teilnahme an Weiterbildungsangeboten für die Einzelnen wird in Finnland etwa durch ein Sabbat-System, das zur universitären Weiterbildung genutzt werden kann, gefördert. Ferner ist das Studieren an Open Universities prinzipiell kostenfrei. Darüber hinaus erlangt die Erwachsenenbildung Anerkennung als populäre Freizeitaktivität. Die im Bildungs­­system verbreiteten Teil­zeitstudienangebote und Fernstudien­ elemente wirken sich teilnahme­begünstigend aus, weil die Vereinbarkeit von lebenslangem Lernen und

Familie auf der einen und von lebenslangem Lernen und Beruf auf der anderen Seite in höherem Maß als in Deutschland gegeben ist. Im vorliegenden Artikel steht die Frage im Vordergrund, was Deutschland vom finnischen Bildungssystem lernen kann, das offenbar in verschiedenen Bereichen die besseren Bedingungen bietet und welche Gründe für diese Funktionstüchtigkeit zu identifizieren sind. Dafür müssen Fort- und Weiterbildungsoptionen sowie der begünstigende oder beeinträchtigende Kontext in Kultur und Organisation beider Länder einander gegenübergestellt werden.

1. Einleitung Die Lissabon-Strategie verfolgt das Ziel, Europa bis 2010 zum international dynamischsten, wissensbasierten und ökonomisch konkurrenzfähigsten Raum der Welt zu entwickeln. Das Augenmerk liegt hierbei insbesondere auf lebenslangem Lernen zum kontinuierlichen Erwerb von Wissen, Kompetenzen und Fähigkeiten (Europäische Kommission, 2007a, S. 1–11). Für die Erfüllung der Lissabonziele ist die Akademisierung der Gesellschaft vonnöten. Die Akademikerquote ist unter den 25- bis 40-Jährigen in der Zeit von 2000 bis 2006 in sämtlichen EU-Ländern gestiegen, in Deutschland allerdings am wenigsten markant (von 23,8 % auf 23,9 %), wenngleich dieser Wert noch knapp über dem EU-Durchschnitt situiert ist. Zum Vergleich dazu weist Finnland einen Absolventenanteil von 35 Prozent in derselben Altersgruppe auf (Rat der Europäischen Union, 2008, S. 36). Über umfassende Weiterbildungsangebote könnte Deutschlands Akademikerrückstand verringert werden. Für lebenslanges Lernens ist es erforderlich, die bestehenden Chancen der Aus-, Fort- und Weiterbildung zu nutzen. Weiterbildung entwickelt sich von einem peripher ergänzenden Bereich im Bildungssektor zu einer zentraler werdenden, eigenständigen Sphäre. Das gilt

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in besonderer Weise für die skandinavischen Länder, wo ihr Institutionalisierungsgrad bereits weiter vorangeschritten ist (Europäische Kommission, 2008, S. 35). In Deutschland indessen genießt lebenslanges Lernen ein geringeres Maß an Popularität. Immerhin konnte der Anteil von 25 Prozent in den 80er-Jahren auf 41 Prozent im Jahr 2006 merklich erhöht werden, wobei geschlechtsspezifische Beteiligungsunterschiede nivelliert sind. In Finnland nimmt Weiterbildung einen außerordentlich hohen Stellenwert ein, der sich in der Beteiligungszahl niederschlägt: Ca. 50 Prozent der Erwachsenenbevölkerung nimmt an der Erwachsenenbildung teil. Die Teilnehmenden der Weiterbildung stellen dort die größte Gruppe der Studierenden dar. Es handelt sich dabei überwiegend um Frauen der mittleren Altersgruppe (Finnish Ministry of Education, 2009; Kosunen, 2009). Warum liegt Deutschland in puncto quartärer Bildung im Vergleich zu Finnland deutlich zurück? Der Grund dürfte in den kulturellen und politischen Rahmenbedingungen zu finden sein. Bei Betrachtung der europäischen Bildungslandschaft fällt auf, dass Finnland bei quartärer Bildung führend ist. Was kennzeichnet die finnische Weiterbildungskultur und welche Übertragungsmöglichkeiten auf deutsche Verhältnisse sind denkbar? Zunächst muss eine Begriffsklärung für das Textverständnis vorgenommen werden: Weiterbildung bezeichnet alle Lernaktivitäten, die eine Erweiterung oder Vertiefung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten in Bezug auf berufliche Tätigkeiten einschließt. Wissenschaftliche Weiterbildung bezieht sich auf universitäre Angebote. Erwachsenenbildung bezeichnet alle Veranstaltungen, die auf eine Anreicherung der Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten von Erwachsenen unabhängig vom Zweck abzielen. Quartäre Bildung kann als Synonym für Erwachsenenbildung verstanden werden. Sie betont die Konsekutivität der Bildung in verschiedenen Lebensabschnitten. Lebenslanges Lernen beinhaltet desgleichen berufliche und nicht-berufliche Bildung. Vor dem Hintergrund eines traditionellen Lernverständnisses, demzufolge eine Ausbildung das Rüstzeug für ein ganzes Berufsleben offeriert, hebt lebenslanges Lernen die andauernde Notwendigkeit der Aktualisierung und Weiterentwicklung des Wissensstandes hervor.

Im Folgenden wird der Sachstand in Bezug auf die quartäre Bildung in Finnland und Deutschland skizziert, daraufhin einflussnehmende Rahmenbedingungen in beiden Ländern beleuchtet. Schließlich werden anhand der Faktenkonfiguration mögliche Implikationen für das deutsche Bildungssystem und seine Struktur diagnostiziert.

2. Das institutionelle Gefüge der Weiterbildung in Finnland und Deutschland im Vergleich Die Kontraste der Fort- und Weiterbildung zwischen Deutschland und Finnland sind in Organisation, Lernformen, Fort- und Weiterbildungsoptionen, Hochschulzulassungsmodalitäten und Kompetenz­an­rechnungs­ möglichkeiten aufzufinden. Sie gilt es zu benennen.

2.1. Erklärte Ziele der Weiterbildung Erklärte Ziele der Weiterbildung bestehen in Finnland darin, das Wissen und die Fertigkeiten der Erwachsenenbevölkerung zu verbessern sowie Bildungschancen für in der Erwachsenenbildung unterrepräsentierte Gruppen zu erhöhen (Finnish Ministry of Education, 2009). In Deutschland bestand die Zielsetzung lange Zeit in einer zweckfreien Bildung. In den 1970erJahren entwickelte sich aus den Ansprüchen von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft die Einsicht, Weiterbildung als Reaktion auf Bildungsbedürfnisse wahrzunehmen (Europäische Kommission, 2008, S. 241).

2.2. Organisation und Weiterbildungsformen Unter der Regie des finnischen Bildungsministeriums stehen allgemeine und berufliche Erwachsenenbildung, freie Erwachsenenbildung und Förderung des Grundprinzips des lebenslangen Lernens. Nach Sicht des Ministeriums soll Erwachsenenbildung auf vier Prinzipien fußen: Selbstverbesserung als Bestandteil des bürgerlichen Lebens; Weiterbildung für alle Berufe und Beschäftigungsarten; Entwicklung von Inhalten sowie Lehr- und Lernmaterialien, um sowohl freie, als auch weiterbildende Lehrveranstaltungen mit hoher Qualität durchzuführen; Erwachsenenbildung als Beitrag zur Teilhabe an der Demokratie, Ausgrenzungsvermeidung und aktive Staatsbürgerschaft (Finnish Ministry of Education, 2009).

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Forum Die finnischen Erwachsenenbildungszentren werden meist von kommunaler Ebene getragen. Private Erwachsenenbildungseinrichtungen besitzen das Recht auf ideologische Grundorientierungen in der Lehre, seien sie religiös, politisch oder von Anschauungen spezifischer Handelsvereinigungen gekennzeichnet. Sommeruniversitäten sind meist ebenfalls im Privatbesitz. MBA-Angebote werden seit den 80er-Jahren rapide ausgeweitet und erfahren einen deutlichen Zuwachs an Popularität. Sie liefern einen Beitrag zur Professionalisierung der Berufsausübung (Fellman, 2001, S. 14). Universitäre Weiterbildung in Finnland steht seit den 70er-Jahren vor allem im Zeichen der Open Universities (European Commission, 2008a, S. 85). Open Universities gewährleisten offenen Zugang und verzichten auf die sonst üblichen formalen Zulassungskriterien. Sie verfolgen außerdem das Ziel, die Bildungsteilnahme unabhängig vom Wohnort zu ermöglichen. Die Partizipation soll nicht durch Alter, Geschlecht, Wohnort, Nationalität oder Einkommensschwäche beeinträchtigt werden. Die Kursqualität entspricht jener von traditionellen Universitäten, so dass die Hochschulöffnung keineswegs mit einem Qualitätsverlust einhergeht. Dabei sollen Individualbedürfnisse und außerhochschulisch erworbene Kompetenzen berücksichtigt werden und diversifizierte Lehrmethoden zum Einsatz kommen. Sie bieten des Weiteren umfangreiche Teilzeitstudienoptionen an (Seppälä, 2003, S. 1 ff.). Open Universities sind Teil der traditionellen Universitäten, deren Kursangebot arbeitsteilig mit weiterführenden Bildungszentren, universitären Organisationen und verschiedenen Erwachsenenbildungseinrichtungen zustande kommt. Kooperationen mit privatwirtschaftlichen Unternehmen werden seit einiger Zeit forciert. Etwa ein Drittel des Lehrangebots erfolgt über Fernstudienelemente, damit Berufstätige leichter ins Bildungssystem integriert werden können. Die Teilnehmenden erhalten für ihre erfolgreich absolvierten Kurse keinen akademischen Abschluss, stattdessen aber Kreditpunkte im Einklang mit dem European Credit Transfer System. Auf diese Art und Weise kann der Einstieg in einen Studiengang an traditionellen Universitäten gewährt werden: Wenn 60 Punkte erreicht sind, steht in der Regel die Immatrikulation offen. Die Durchlässigkeit zwischen Open Universities und konventionellen Studiengängen wird somit erhöht. Darüber hinaus steigt die Verflechtung von Lehre und Privatwirtschaft. Vor allem polytechnische Studiengänge verlagern die Lerntätigkeit auch auf den Arbeitsplatz. Sie weisen

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zwar weniger Immatrikulierte auf, bringen aber mehr Absolventen als die Universitäten hervor (European Commission, 2008a, S. 98 f.). Das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beschäftigt sich eingehend mit beruflicher Bildung und lebenslangem Lernen und fördert beides beispielsweise mit dem Programm „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken zur regionalen Entwicklung von Bildungsangeboten“. Eine der hauptsächlichen Intentionen solcher Initiativen besteht in der Steigerung der Durchlässigkeit und Verzahnung der Bildungsbereiche (vgl. BMBF, 2008, S. 17). Auf Seiten des politischen Handelns gibt es erkennbare Bemühungen, eine ähnliche Richtung wie Finnland einzuschlagen. Das zeigt sich etwa an den vom BMBF unterstützten ANKOM-Projekten (Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge, siehe 2.6), die wissenschaftlich betreut wurden (vgl. Hartmann et al., 2008, S. 16) oder am Entschließungsantrag der FDP und der CDU des niedersächsischen Landtags, der sich auf die dauerhafte Sicherstellung und Ausweitung der Offenen Hochschule bezieht (Fraktionen der FDP und CDU des niedersächsischen Landtags, 2008, S. 1 f.). In Deutschland existiert keine der Open University vergleichbare Institution. Weiterbildung wird von vielen verschiedenen, kleineren und größeren Akteuren angeboten, darunter Hochschulen, private Träger, Volkshochschulen, Kirchen, Verbände, Kammern, Gewerkschaften, Parteien und Betriebe. Weiterbildung ist demnach sowohl staatlich als auch privat, gemeinnützig oder profitorientiert ausgerichtet. Berufsqualifizierende Studiengänge können an Hochschulen und Einrichtungen wie Akademien oder Fachschulen belegt werden. In den letzten Dekaden ergab sich eine fortschreitende Verdichtung des regionalen Studienangebots. Die Bereiche allgemein-schulbezogener, wissenschaftlicher und Teile politischer Weiterbildung sowie berufliche Weiterbildung an Fachschulen fallen in die Zuständigkeit der Bundesländer. Die Bundesagentur für Arbeit trägt für die Förderung der beruflichen Weiterbildung Sorge, das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) für überbetriebliche Berufsbildungsstätten und den Ausbau des berufsbildenden Fernunterrichts. Wissenschaftliche Weiterbildung findet in erster Linie an Hochschulen und mittlerweile häufiger in Kooperation mit Unternehmen statt (Europäische Kommission, 2008, S. 241 ff.).

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Berufliche Bildung ist in Finnland alternativ institutionalisiert. Sie ist infolge der Einführung der Polytechnics (vergleichbar mit den Fachhochschulen Deutschlands) in den tertiären Bildungssektor verlagert worden (vgl. Kyrö, 2006, S. 30), während sie in Deutschland vorwiegend Teil des postsekundären Bereichs ist. Daher stellt sich in Finnland auch nicht das in Deutschland herrschende Übergangsproblem zwischen beruflicher und Hochschulbildung, wo die tatsächliche Äquivalenzfeststellung von Leistungen zum Teil daran scheitert, dass berufliche Bildung stärker auf Überblickswissen und weniger auf theoretische Fundierungen abzielt. Die qualitative Überlappung, die für die Anrechnung wesentlich ist, wird daher häufig als unzureichend deklariert (vgl. Benning, Müller & Horst, 2008, S. 27).

2.3. Themen wissenschaftlicher Weiterbildung Die Open University stellt eine der wichtigsten Weiterbildungsinstitutionen Finnlands dar. Das Fächerangebot ist identisch mit dem der jeweiligen Universität, der die betreffende Open University angehört. Die Lehrenden an den Open Universities sind mitunter dieselben wie die an traditionellen Universitäten und bieten häufig deckungsgleiche Kurse an beiden Einrichtungen an. Die Qualität der Lehre und des Lerninhalts ist an beiden Universitätsformen folglich die gleiche. Weiterbildungsanbieter in Deutschland liefern ein heterogenes Veranstaltungsprogramm. An Universitäten als bedeutendste Anbieter wissenschaftlicher Weiterbildung kristallisieren sich als thematisch größte Bereiche Management, Sozial-, Gesundheits- und Kulturwissenschaften, Technik und Pädagogik heraus (Hanft & Knust, 2007, S. 69). Berufliche Weiterbildung wird von Berufsakademien, Industrie- und Handelskammern und Fernlehrinstituten offeriert. Darüber hinaus werden berufliche Schulen zunehmend zu regionalen Bildungszentren weiterentwickelt, wodurch wiederum lebenslanges Lernen institutionell unterstützt wird (Europäische Kommission, 2008, S. 243 ff.).

2.4. Neue Lernformen (E-Learning) In Finnland herrscht große Offenheit in Bezug auf neue Medien des Lernens; (onlinegestützte) Selbstlernphasen sind in der Studienorganisation inkludiert (Markkula, 2004, S. 18 ff.). Indessen dominieren in Deutsch-

land noch Präsenzformen der Lehre. Der Anteil an Online-Veranstaltungen liegt im Durchschnitt bei ca. 10 Prozent (Hanft & Knust, 2007, S. 133). Hierzulande herrscht offensichtlich ein gewisser Konservativismus bezüglich neuer Lernformen – die Risiken, die durch sie entstehen (z. B. die Befürchtung, keine fachlichen Diskussionen mehr führen zu können) scheinen die Chancen (z. B. leichtere Vereinbarkeit von Weiterbildung und Beruf bzw. Familie) – zumindest aus Perspektive der Gesellschaft – zu überwiegen. Dennoch wird E-Learning zunehmend in der Aus- und Weiterbildung eingesetzt und ist zudem von wachsender Bedeutung für lebenslanges Lernen. Als Vorteile werden in erster Linie Flexibilität, Modernität und Mobilität bzw. die Zeit- und Ortsunabhängigkeit genannt. Die Nachteile betreffen derzeit die Betreuungsqualität, Schwierigkeiten bezüglich der Motivation zu selbstständigem Lernen und die vorausgesetzte Medienkompetenz, die tendenziell bei älteren Personen mangelhaft ausgebildet ist (BMBF, 2006, S. 210 ff.). Dieses Problem wird sich vermutlich beim Nachwachsen der Alterskohorten abschwächen, weil sich Jüngere im Alltag stärker mit neuen Technologien befassen.

2.5. Zulassung zur Hochschule Jede finnische Institution der Erwachsenenbildung entscheidet autonom über Zugangsanforderungen. Eine Matrikulationsprüfung befindet über den universitären Zugang. In sämtlichen Studiengängen sind NumerusClausus-Regelungen in Abhängigkeit von der erwünschten Zahl von Abschlüssen in Kraft. Über die Universitätszulassung entscheiden die Leistungen in der Matrikulationsprüfung, Eignungstests und Schulnoten. Die Hochschulzulassung in Deutschland fällt in die Zuständigkeit der Länder. So ergeben sich von Bundesland zu Bundesland z. T. augenfällige Differenzen. In der Mehrzahl der Fälle erfolgt die Zulassung zu einem Studiengang über die allgemeine, fachgebundene oder die Fachhochschulreife (Kultusministerkonferenz, 2008a, S. 2 f.; Kultusministerkonferenz, 2008b, S. 33). Abgesehen von der positiven Absolvierung der Sekundarstufe II wird die Hochschulzulassung über die Abiturprüfung für Nicht-Schüler, die Begabtenprüfung für besonders befähigte Berufstätige, die Meisterprüfung oder den Erfolg in Probestudien vermittelt, was allerdings nur ein geringer Prozentsatz von Studierwilligen nutzt. Darüber hinaus können fachbezogene Eignungs-

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Forum prüfungen durch die Hochschulen durchgeführt werden. Numerus-Clausus-Regelungen berücksichtigen die Durchschnittsnote im Abitur, gewichtete Einzelnoten im Abitur, die Wartezeit auf einen Studienplatz, separate Auswahlgespräche sowie die Art der Berufsausbildung oder Berufstätigkeit (Europäische Kommission, 2008, S. 196 f.). Die Hürde des Abiturs verringert die Hochschulzugangschancen in Deutschland. Die eben angeführten, alternativen Zugangswege sind großteils unbekannt. In Finnland gestaltet sich die Ausgangslage anders, da ein größerer Anteil der Bevölkerung über einen Abschluss der Sekundarstufe II verfügt. Unter den 20- bis 24Jährigen besaßen 2007 in Finnland 86,5 Prozent einen solchen Abschluss, während es in Deutschland 72,5 Prozent waren (European Commission, 2008b, S. 35). Für alle übrigen eröffnet die Open University einen alternativen Weg zur Hochschule. Zu erwähnen ist freilich auch, dass in Deutschland seit einiger Zeit Öffnungsbemühungen der Hochschulen ersichtlich sind. Zum Beispiel verabschiedete die Kultusministerkonferenz Beschlüsse zur Anrechnung von außerhochschulisch erworbenen Kompetenzen und bezüglich des Hochschulzugangs beruflich Qualifizierter (vgl. Kultusministerkonferenz, 2002, S. 1; Kultusministerkonferenz 2008c, S. 1–5; Kultusministerkonferenz, 2009, S. 1 f.). Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Hochschulrektorenkonferenz formulierte sie eine Empfehlung für die Anerkennung außeruniversitär angeeigneter Kompetenzen in Form der Vergabe von Credit Points (vgl. BMBF, Kultusministerkonferenz & Hochschulrektorenkonferenz, 2003, S. 1 f.). Für diesen Schritt ist die Etablierung des Deutschen Qualifikationsrahmens in Anlehnung an den Europäischen Qualifikationsrahmen entscheidend, mit dem die Umrechnung in Kreditpunkte erleichtert wird. Des Weiteren äußerten sich die Hochschulrektorenkonferenz und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag zugunsten einer stärkeren Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung (vgl. Hochschulrektorenkonferenz & Industrie- und Handelskammertag, 2008, S. 2 ff.).

2.6. Anrechenbarkeit von Kompetenzen Mithilfe der Anrechnung sollen Kompetenzen, die Studierende bereits vor Beginn des Studiums besitzen, anerkannt werden. Durch sie lassen sich Redundanzen be-

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züglich der Curricula von Studiengängen und den beim Studierenden vorhandenen Kompetenzen vermeiden. Kompetenztestverfahren sind wesentlicher Bestandteil des finnischen Hochschulwesens und finden oft durch Beurteilungen am Arbeitsplatz sowie durch die in Frage kommende Bildungsinstitution statt. Als Grundsatz gilt, dass Art und Ort der Kompetenzerlangung für die Anrechnung unerheblich sind. Teilnehmer von Weiterbildungsstudiengängen müssen dadurch nur solche Lehrveranstaltungen belegen, die ihnen inhaltlich erwiesenermaßen fremd sind. In der freien Erwachsenenbildung Finnlands werden keine Zertifikate vergeben. Sie dient dem Kompetenzerwerb, der sich auf Anrechnungen im Hochschulwesen niederschlägt (European Commission, 2008a, S. 100). In Deutschland werden erst neuerdings Anstrengungen unternommen, Redundanzen im (Weiterbildungs-) Studium durch die Anrechnung von Kompetenzen zu vermeiden. Pilotcharakter hatten die Modellversuche der ANKOM-Projekte. An insgesamt elf Hochschulen wurden für ausgewählte Studiengänge Verfahren zur Anrechnung von Kompetenzen erprobt (Stamm-Riemer et al., 2008, S. 5 f.). In jüngerer Vergangenheit wird die Anrechnung von außerhalb des Hochschulwesens erworbenen Kompetenzen und die Durchlässigkeit von beruflicher und hochschulischer Bildung von den bildungspolitischen Entscheidungsträgern in den Fokus gerückt (vgl. Kultusministerkonferenz, 2002, S. 1; vgl. Kultusministerkonferenz, 2008c, S. 1–5; vgl. Kultusministerkonferenz, 2009, S. 1 ff.). Die Bundesländer sind unterschiedlich weit in der Implementierung vorangeschritten. Die Bemühungen sind aber deutlich erkennbar. Fairness in Anrechnungsfragen ist nötig, um die Akzeptanz der Verfahren zu erhöhen. Die Herstellung gleicher Anrechnungsbedingungen für die Teilnehmenden ist dafür wesentlich. Bezüglich der Fairness könnten sich Schwierigkeiten ergeben, wenn die Anstrengungen zur Erbringung der bisherigen formalen Kriterien entwertet und dadurch möglicherweise Widerstand hervorgerufen wird. Die Wege, wie in Finnland eine solche Anrechnung stattfindet, könnten teilweise für Deutschland Vorbildcharakter haben.

3. Kulturelle und ökonomische Rahmenbedingungen der Weiterbildung im Vergleich Zahlreiche kulturelle Rahmenbedingungen nehmen Einfluss auf die Weiterbildung. Sie sind schwer zu

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erfassen und kaum veränderbar. Die Kenntnis dieser Fakten ist aber unumgänglich, um ihre Wirkung bei der Entwicklung neuer Weiterbildungsangebote oder politischen Maßnahmen abzuschätzen. Neben diesen Größen werden nun Kosten und Finanzierung von Weiterbildungsveranstaltungen benannt. Danach wird die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Weiterbildung in Finnland und Deutschland dargestellt. Schließlich wird die Wirkung der geographischen Erreichbarkeit für die Partizipation erläutert.

3.1. Kosten und Finanzierung Prinzipiell existieren in Finnland keine Studiengebühren. Es sind lediglich Beiträge für den Studentenbund zu leisten. Studienbeihilfen werden den Studierenden unabhängig vom Einkommen ausgezahlt. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, durch Stipendien weitere Finanzmittel zu erhalten. Für etwaige Kompetenztests an Hochschulen (siehe Kapitel 2.6) sind gewöhnlich Gebühren zu entrichten (European Commission, 2008a, S. 113). Seit 2005 liegt es in Deutschland im Ermessen der Länder, Studiengebühren in der Höhe von bis zu 500 Euro pro Semester zu erheben. Zur Abfederung des Kostendrucks steht den Studierenden ein Darlehensystem zur Verfügung. Die ausgeschütteten Geldmittel müssen erst nach Beendigung des Studiums zurückgezahlt werden. Zusätzliche Gebühren sind je nach Bundesland für Langzeitstudierende oder bei der Aufnahme eines zweiten Studiums fällig. Deutschland ist der einzige EU-Mitgliedstaat, in dem Studierende, die eine Kombination aus Darlehen und sonstigen Zuschüssen erhalten, zur Rückzahlung verpflichtet sind (Europäische Kommission, 2007b, S. 105). Studienbeihilfen berechnen sich nach dem Einkommen bzw. Vermögen der Studierenden und der Ehegatten oder Eltern und stehen somit nicht universell zur Verfügung. In keinem skandinavischen Land sind hingegen finanzielle Zuwendungen der öffentlichen Hand an das Einkommen der Eltern gebunden (Europäische Kommission, 2007b, S. 15 ff.). Weitere Finanzhilfen ergeben sich aus dem Bildungskreditprogramm, Kinderbetreuungszuschlägen, Darlehen von regionalen Einrichtungen und des Studentenwerks, Stipendien sowie Steuer- und Versicherungsbegünstigungen. Bei Personalentwicklungsmaßnahmen übernehmen in erster Linie die Unternehmen die Finanzierung. Individuelle berufliche Weiterbildungen werden mit einer Bildungsprämie gefördert (Europäische Kommission, 2008, S. 255). Charakte-

ristischerweise haben Teilnehmende der allgemeinen Weiterbildung mehr Kosten selbst zu tragen als es im Falle der beruflichen Weiterbildung üblich ist (BMBF, 2006, S. 352 f.). Deutsche Teilnehmende stehen vor einem Problem, mit dem finnische nicht konfrontiert sind. Weiterbildungsvorhaben werden von einem Großteil von Interessenten wieder verworfen, wenn offensichtlich wird, wie hoch das notwendige Investitionsvolumen ausfällt. Mit der Einführung von Studiengebühren wird eine zusätzliche Barriere vor einem Hochschulstudium, auch zur Weiterbildung, kreiert. Politische Fördermaßnahmen sollen Erleichterung bringen, sind jedoch mitunter unbekannt und werden folglich eher selten genutzt (vgl. Hochschulrektorenkonferenz & Deutscher Industrie- und Handels­kammertag, 2008, S. 1 ff.). Die Finanzierung der freien Weiterbildung in Finnland erfolgt zu gleichen Teilen durch öffentliche Gelder und Teilnahmegebühren oder aber durch Unternehmen. Etwa 12–13 Prozent des Budgets des Bildungsministeriums fließen in die Erwachsenenbildung (Finnish Ministry of Education, 2009). Die Finanzierung der Weiterbildung setzt sich in Deutschland insgesamt aus Mitteln des Bundes, der Länder und aus privater Hand zusammen. (Europäische Kommission, 2008, S. 256). Bezüglich der Finanzierung ergibt sich in Finnland und Deutschland ein ähnliches Bild, wenngleich die Unterstützung von öffentlicher Seite in Finnland großzügiger ausfällt.

3.2. Vereinbarkeit Beruf, Familie und Weiterbildung Der Vereinbarkeit von Beruf und Weiterbildung in Finnland wird durch die Möglichkeit für Berufstätige, Bildungsurlaub (Sabbaticals) in Dauer von zwölf Monaten zu nehmen, Vorschub geleistet. Während dieser Zeit wird ein signifikanter Teil des Lohns fortgezahlt (European Commission, 2008a, S. 113 f.). Lehrveranstaltungen der Open Universities finden fast ausschließlich abends oder am Wochenende statt (Kosunen, 2009), so dass die zeitliche Vereinbarkeit von Beruf und Weiterbildung günstig beeinflusst wird. In Deutschland ist in elf von 16 Bundesländern die Möglichkeit gegeben, Bildungsurlaub im Umfang von fünf Tagen zu nehmen (Europäische Kommission, 2008, S. 245). Im Gegensatz zu Finnland stellen spezielle

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Forum Weiterbildungsstudiengänge mit arbeitsvertraglichen Kurszeiten die Ausnahme dar. Für Finnen ist es folglich prinzipiell möglich, einen Master-Studiengang während des Sabbaticals zur Hälfte zu absolvieren und danach berufsbegleitend den überschaubaren übrigen Lernumfang abzuleisten. Die Kürze der Weiterbildungsfreistellung Deutschlands verschließt diese Möglichkeit. Die Vereinbarkeit von Weiterbildung und Familie ist in Finnland ebenfalls ausgeprägter, weil die Tagesbetreuung für Kinder umfassender als in Deutschland ist, unter anderem, da die generelle Schulpflicht einen größeren Anteil des Tages umfasst (vgl. European Commission, 2008c, S. 3). Hinzu kommt, dass es in Deutschland gesellschaftlich häufig negativ beurteilt wird, wenn die Eltern, oder – präziser – die Mutter einem Beruf nachgeht bzw. an stark zeitkonsumierender Weiterbildung teilnimmt. So stimmten immerhin 63 Prozent der Westdeutschen der Aussage zu „Ein Kleinkind wird sicherlich darunter leiden, wenn seine Mutter berufstätig ist“ (Dressel et al., 2005, S. 295). Resümierend lässt sich festhalten, dass nicht nur die Vereinbarkeit von Erwachsenenbildung und Beruf in Deutschland weniger gegeben, sondern darüber hinaus die Betreuung von Kindern deutlich schwieriger zu organisieren ist, weswegen Weiterbildung seltener erwogen wird.

3.3. Geographische Erreichbarkeit von Bildungsangeboten Bedingt durch die verhältnismäßig dünne Besiedelung Finnlands existieren oftmals große Distanzen, die zur Weiterbildungsstätte zurückgelegt werden müssen. Hier könnte Finnland also im Vergleich zu dichter besiedelten Ländern wie Deutschland in Bezug auf die Erreichbarkeit von Bildungsangeboten benachteiligt sein. Um dieses Erschwernis abzufedern, befinden sich Einrichtungen der Erwachsenenbildung geographisch weit gestreut. Allein die Open Universities existieren an annähernd allen finnischen Universitäten. Hinzu kommen sonstige Weiterbildungseinrichtungen. Für Personen, die dennoch keine wohnortnahe Bildungsmöglichkeit vorfinden, gewähren staatliche Einrichtungen Fahrtkostenzuschüsse (European Commission, 2008a, S. 113 f.), um zumindest den finanziellen Druck abzuschwächen. Fördernd wirkt außerdem die erwähnte Fernlehrkultur Finnlands (siehe 2.4).

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Die Frage nach der geographischen Erreichbarkeit von Bildungsangeboten stellt in Deutschland, ob der dichten Besiedelung, kein zentrales Problem dar. Die institutionelle Bildungsversorgung kann leichter gewährleistet werden. Insbesondere Kommunen bieten eine Vielzahl unterschiedlicher Weiterbildungsveranstaltungen an (Europäische Kommission, 2008, S. 242).

3.4. Bildungskulturelle Faktoren Die Einstellung der Finnen zum Lernen im Allgemeinen und zum lebenslangen Lernen im Speziellen unterscheidet sich von derjenigen der Deutschen (Anttila, 2009; Hofer, 2007, S. 57). Der Grundstein dazu wird bereits während der Schulzeit gelegt, deren Rahmenbedingungen sich von denjenigen der deutschen unterscheiden. Das finnische Schulsystem ist eingliedrig: Alle Schüler verbringen ihre Schulzeit bis zur Vollendung der Sekundarstufe I gemeinsam. Personen mit Lernschwächen werden früh durch gezielte Hilfe unterstützt – so wird vor dem Hintergrund der Eingliedrigkeit des Systems sichergestellt, dass die Teilnehmenden in die Lage versetzt werden, das geforderte Lernpensum abzuleisten. Auch die Integration von Immigranten wird gezielt vorgenommen. Für das Lehrpersonal ist ein Master-Abschluss obligatorisch. Didaktische und pädagogische Kompetenzen werden systematisch gefördert. Sie dienen als wesentliche Basis für eine schüler- bzw. studierendenorientierte Konzeption des Lernens. Finnischen Schülern wird ein hohes Maß an Selbständigkeit zugesprochen. Dies trägt zur Schaffung einer vorteilhaften LehrerSchüler-Beziehung bei (Anttila, 2009). Die Faktoren zusammengenommen bewirken bei finnischen Schulkindern eine grundsätzlich positive Einstellung zur Lerntätigkeit, die bei späteren Bildungswegen aufrecht erhalten werden kann. So besteht eine hohe Motivation, sich auch im Erwachsenenalter weiterzubilden und am lebenslangen Lernen teilzunehmen. Erwachsenenbildung gilt als populäre Freizeitaktivität.

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Lerneffekte über die Vergleichsdarstellung Die auf EU-Ebene angestrebte globale Wettbewerbsfähigkeit, fußend auf Humanressourcen und Bildungskapital, kann nur erreicht werden, sofern dem Verfallsdatum von Wissen Rechnung getragen wird. Dies lässt sich nur über die stetige Wissensaktualisierung erreichen, die auf Weiterbildung und lebenslangem Lernen beruht. Auf diesem Wege ist Finnland weiter vorangeschritten als Deutschland. Von seinem Modell können Vorschläge zur Verbesserung des deutschen Bildungssystems unterbreitet werden. Die europäischen Zielsetzungen sind nur mit genügend Hochschulabsolventen erreichbar. Der hierbei in Deutschland identifizierte Rückstand in der Akademikerquote kann über universitäre Weiterbildung aufgeholt werden, indem die schlummernden Potenziale aktiviert werden. Es gilt, die dafür notwendigen Zugangsregelungen und Anrechnungsmöglichkeiten zu liberalisieren und kompetenzbasierend zu gestalten. Kritisch sind derzeit noch die Vorbehalte in Bezug auf die Zulassung neuer Zielgruppen zu Universitäten in Deutschland. Vorurteile zerstreuend könnte das Beispiel der finnischen Open University wirken. Sind die kognitiven Ressourcen und die Motivation für ein Hochschulstudium hinreichend ausgeprägt, lassen sich die Vorbehalte gegenüber einem Hochschulstudienzugang alternativer Art abschwächen. Vom gesetzlichen Standpunkt gesehen wurde die Zulassung in Deutschland ohnehin bereits vereinfacht. Die Chancenerneuerung muss nun den Bürgern kommuniziert werden, während gleichzeitig ihre Motivation zur Teilnahme im universitären Bereich zu steigern ist. Zur Motivationsverbesserung trägt zum einen das vorhandene Angebot, zum anderen die zeitliche und finanzielle Machbarkeit bei. Politische Maßnahmen zur rechtlichen Simplifizierung der Weiterbildungspartizipation wurden und werden ergriffen. Die erleichterten Umstände können allerdings erst wirksam werden, wenn sich die Weiterbildungsangebote daran orientieren. Konkret bedeutet das, dass vor allem Universitäten als die Hauptanbieter universitärer Weiterbildung mehr spezielle Veranstaltungen für erwerbstätige Erwachsene in ihren Angeboten berücksichtigen müssen.

Anrechnung früher erworbener Kompetenzen spart Zeit, da die entsprechenden Lehrveranstaltungen nicht mehr besucht werden müssen. Zur Absolvierung von Lehrveranstaltungen verpflichtet zu sein, deren inhaltliche Substanz aus anhaltender Berufspraxis bereits bekannt ist, wirkt mitunter motivationseinschränkend. Darüber hinaus begrenzt eine gleichzeitige Berufstätigkeit das individuelle Zeitkonto deutlich; die Möglichkeit ausgedehnter Bildungsurlaube, wie sie in Finnland offeriert wird, böte einen denkbaren Ausweg. Zur Kombination von Weiterbildung und Beruf wäre es ferner vorteilhaft, Vorbehalte gegenüber E-Learning-Veranstaltungen abzubauen. Auf die Lernkultur Finnlands wirkt sich das eingliedrige Schulsystem positiv aus. Darüber hinaus wird Weiterbildung für Eltern durch die erleichternden Umstände der Kinderbetreuungsregelungen gefördert. Deutsche Schulen befinden sich derzeit vielerorts in einem Umstrukturierungsprozess hin zur Ganztagsschule. Ist das Angebot diesbezüglich mehr oder minder universell zugänglich, wird es nicht nur insbesondere mehr Müttern möglich sein, (wieder) einen Beruf auszuüben, auch die berufliche hierarchische Mobilität in selbigem wird durch Weiterbildung, die in der zusätzlich aktivierten Freizeit leichter integriert werden kann, wahrscheinlicher. Außer Zeit spielen die Kosten der Weiterbildung eine zentrale Rolle. Die Forderung, Bildung chancengerecht zugänglich zu machen, kann nicht erreicht werden, solange sie ein Luxusgut bleibt. Es bleibt zu hoffen, dass nach der Umsetzung der strukturellen und politischen Rahmenbedingungen auch ein Wandel hinsichtlich der Einstellung der Menschen einsetzt. Statt der assoziativen Verknüpfung von Lernen als Pflicht müsste sich das Verständnis von Bildung als Selbstzweck durchsetzen. Neben zweckgerichteten Implikationen, wie beruflichem Aufstieg oder Erreichung höherer Gehaltsstufen, könnte das schlichte Interesse daran, Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erweitern und vertiefen, eine wertvollere Rolle erhalten.

Die Machbarkeit der Teilnahme hängt für den Einzelnen unter anderem von den zeitlichen Ressourcen ab. Die D G W F – Hochschule & Weiterbildung 1 | 2009

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Autorinnen/Autor Prof. Dr. Sabine Remdisch E-Mail [email protected] Birgit Weck E-Mail [email protected] Dr. Stefan Zapfel E-Mail [email protected]

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