Das Ende der Minutenpflege Silvia Jansen/E+/Getty Images. »Politik der ausgestreckten

October 4, 2016 | Author: Adam Reuter | Category: N/A
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1 Das Monatsmagazin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dezember 2016/Januar 2017»Politik der ausgestreckten Hand«...

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Das Monatsmagazin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion · Dezember 2016/ Januar 2017

»Politik der aus­ gestreckten Hand« CDU/CSU-Bundestagsfraktion steckt Leitlinien im Umgang mit Russland ab

© Silvia Jansen/E+/Getty Images

Das Ende der Minutenpflege Pflegeversicherung umfassend reformiert – Erhalt der Selbstständigkeit im Mittelpunkt

Inhalt

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Die seit 20 Jahren bestehende Pflege­ versicherung ist in drei Stufen umfassend reformiert worden. Sie ist damit für die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft gewappnet.

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© Picture Alliance/TASS/Sergei Konkov

© Thomas Trutschel/Photothek/Getty Images

© Fred Froese/E+/Getty Images

Die Unionsfraktion hat neue Leitlinien für den Umgang mit Russland definiert. Dialogbereitschaft und Prinzipientreue gehören dabei zusammen.

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Die Umgangsformen im Netz verrohen. Angesichts dessen dringt Unions­ fraktionschef Volker Kauder auf eine stär­ kere Regulierung der sozialen Medien.

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Der Monat Volker Kauder Die Meinung Gerda Hasselfeldt

Das Gespräch Karl Schiewerling zur Rentendebatte Die Themen Soziale Medien stärker regulieren

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Das Fest Buchempfehlungen der Redaktion Matthias Zimmer über Randerscheinungen der Politik

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Die Zahlen

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Der Gast Martin Dutzmann über 500 Jahre Reformation

Die Fakten Der Brennpunkt Das Ende der Minutenpflege

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Die Themen »Politik der ausgestreckten Hand«

Die Bilder Die Fraktion Die Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales im Porträt

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Die Antworten Fragen und Antworten zum Hilfspaket für die Landwirtschaft

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Impressum

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Das Zitat

Der Monat

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Liebe Leserinnen und Leser,

Volker Kauder Vorsitzender der CDU/CSUBundestagsfraktion

© Laurence Chaperon

in diesen Wochen werden die Weichen für das Wahljahr 2017 gestellt. Angela Merkel tritt wieder als Kanzlerkandidatin an. Das ist für Deutschland eine gute Nachricht. Programmatisch hat die Union wie auch die anderen Parteien erste Pflöcke eingeschlagen. Wir stehen auf allen Politikfeldern für Maß und Mitte. Im Gegensatz zu den anderen sind CDU und CSU die Parteien des Ausgleichs und der Vernunft. Der näherrückende Wahlkampf wird in den nächsten Monaten auch die Debatten im Bundestag immer stärker beherrschen. Dennoch ist die Legislaturperiode am 31. Dezember 2016 nicht zu Ende. Die große Koalition muss auch im ersten Halbjahr 2017 noch wichtige Projekte – etwa in der Rentenpolitik – verabschieden. Auch bei der Inneren Sicherheit ist die Gesetzesarbeit noch nicht abgeschlossen – Stichwort: Kampf gegen die Einbruchskriminalität und Kampf gegen den Terrorismus. Zudem müssen wir uns in der Koalition noch einmal ernsthaft damit befassen, ob wir nicht endlich energischer gegen Hass und Desinformation im Internet und in den sozialen Medien vorgehen müssen. Über unsere Vorstellungen, das Recht auch in der digitalen Welt durchzusetzen, berichtet dieses Heft. Dabei wissen wir, dass ein Teil der Hasskommentare gar nicht in Deutschland verfasst werden, sondern in Russland. Kein Zweifel: Russland ist mit einer vor Jahren noch unvorstellbaren Aggressionspolitik auf die Weltbühne zurückgekehrt und fordert nicht zuletzt die NATO heraus. Wie die CDU/CSU-Bundestagsfraktion heute Putins Reich betrachtet, wird in diesem Heft beschrieben. Vor allem aber widmet sich dieses Heft der Pflege. Die Versorgung der hilfsbedürftigen Älteren ist in vielen Familien ein großes Thema. Wir werden alle laut Statistik immer älter. Gleichzeitig wird auch die Zahl der Pflegebedürftigen weiter steigen. Viele Menschen machen sich Sorgen, ob sie auch im Fall von Gebrechlichkeit gut versorgt werden. Gerade in dieser Wahlperiode wurde in der Pflege eine Menge getan. Vieles hat sich für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen verbessert. Was genau, erfahren Sie in dem Beitrag unserer Redaktion. 2016 war, jeder hat es gespürt, kein leichtes Jahr. Viele der Herausforderungen der vergangenen Monate werden uns auch 2017 begleiten. Umso größer ist bei vielen Menschen nun die Hoffnung auf etwas Ruhe über die Festtage und über den Jahreswechsel. In diesem Sinne möchte ich Ihnen, liebe Leser von »Fraktion direkt«, schon heute gesegnete Weihnachten wünschen. Möge uns allen ein möglichst friedliches und glückliches 2017 beschieden sein.

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – Dezember 2016/Januar 2017

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Die Meinung

Eine eindrucksvolle Bilanz Die Menschen können sich auf CDU und CSU verlassen

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as war das für ein Jahr! 2016 wird in Erinnerung bleiben. Auch wenn man, wie ich, seit 30 Jahren im Bundestag sitzt und schon einiges erlebt hat. Brexit, Militärputsch in der Türkei, die schrecklichen Terroranschläge in Frankreich und Belgien, und ja auch hier in Deutschland haben islamistische Terroristen zugeschlagen. Im November hat Donald Trump die Wahl in den USA gewonnen. Noch wissen wir nicht, was er von seinen Wahlversprechen wie umsetzt. Ja, wir leben in bewegten und unsicheren Zeiten, aber die Menschen können sich auf uns, auf CDU und CSU verlassen. Das haben wir auch in diesem Jahr wieder eindrucksvoll bewiesen. Dank internationaler und nationaler Maßnahmen sind die Flüchtlingszahlen stark zurückgegangen. So trägt das Asylpaket II mit schnelleren Verfahren, dem Aussetzen des Familiennachzugs für subsidiär Schutzbedürftige und leichteren Abschiebungen ganz klar die Handschrift der Union. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir schon weiter sein könnten – wenn die SPD nicht mit Rücksicht auf die Grünen die Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer im Bundesrat blockieren würde. Die Koalition hat einen neuen gesetzlichen Rahmen für die Integration in Deutschland geschaffen. Erstmals werden Integrationsleistungen auch eingefordert, Unterstützungsleistungen können sogar gekürzt werden. Das entspricht dem Prinzip des Forderns und Förderns. Integration ist nicht nur eine Bringschuld des Staates, sondern auch eine Verpflichtung für alle, die neu in unser Land kommen und hier leben wollen. Mit der Einigung zur Erbschaftssteuerreform sichern wir Arbeitsplätze und die von Familienunternehmen geprägte Wirtschaftsstruktur in Deutschland. Wir haben damit für Rechts­

sicherheit gesorgt. Entscheidend war für CDU und CSU, dass es zu keinen Steuererhöhungen kommt. Das konnten wir gegen die erklärte Absicht von SPD und Grünen durchsetzen. Trotz nationaler und internationaler Herausforderungen: Wir haben in dieser Legislaturperiode weder neue Schulden aufgenommen noch die Steuern erhöht. Mit dem Bundeshaushalt 2017 legen wir erneut einen ausgeglichenen Haushalt vor. Gleichzeitig haben wir die Innere Sicherheit und die Bekämpfung der Flucht­ ursachen finanziell gestärkt. Für CDU und CSU hat die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger oberste Priorität. So werden die Sicherheitsbehörden in den nächsten vier Jahren über 1,6 Milliarden Euro zusätzlich bekommen, die Bundespolizei wird bis 2020 über 7.000 neue Stellen erhalten. Das kommende Jahr verspricht nicht weniger spannend zu werden. Die Bundestagswahl wirft ihre Schatten voraus. Für CDU und CSU heißt das: Nur gemeinsam sind wir stark. Nur gemeinsam können wir ein bereits öffentlichkeitswirksam zelebriertes Bündnis von Rot-Rot-Grün verhindern. Denn Deutschland wäre sonst in der Sicherheitspolitik, in der Außenpolitik, in der Wirtschafts- und Sozialpolitik ein anderes Land. Ebenso kann nur eine geeinte Union den Angriffen und Verunglimpfungen der AfD etwas entgegensetzen – mit der Bundeskanzlerin an der Spitze. Und das ist gut so.

Gerda Hasselfeldt Erste Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzende der CSU-Landesgruppe

© Henning Schacht

»Gemeinsam wollen wir Rot-Rot-Grün verhindern.«

Die Fakten

Wussten Sie, dass… …deutsche Filme per Gesetz gefördert werden? Die deutsche Regisseurin Maren Ade ist mit ihrem Film »Toni Erdmann« auf dem Festival in Cannes vom Publikum gefeiert worden. Damit deutsche Filme auch im Wettbewerb bessere Chancen haben, hat die Koalition ein neues Filmförderungsgesetz verabschiedet. Die Novelle enthält eine Reihe innovativer Instrumente, die zunächst für fünf Jahre gelten: So müssen die Produzenten bei der Film­ finanzierung künftig einen geringeren Eigenanteil aufweisen, um Fördermittel zu erhalten. Zudem werden herausragende Drehbücher gefördert. Die Förderkommissionen werden künftig verschlankt und professionalisiert, also mit Experten besetzt. Auch sollen künftig mindestens 30 Prozent Frauen im Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt sitzen. Die Unionsfraktion sorgt darüber hinaus für mehr Transparenz: Die Filmförderungsanstalt muss künftig veröffentlichen, bei wie vielen Filmproduktionen die Beschäftigten nach Tarifvertrag bezahlt werden. Die Digitalisierung macht auch vor der Filmbranche nicht Halt. Gleichzeitig verändert sich das Zuschauerverhalten. Um flexibler zu werden, experimentieren Kinos mit eigenen Video-on-Demand-Angeboten (VoD). Die Filmförderung muss damit Schritt halten. So werden nun endlich – im Einklang mit Europarecht – VoD-Anbieter im Inland sowie im europäischen Ausland zur Filmabgabe herangezogen. Das heißt, sie müssen einen gesetzlich festgelegten Anteil ihrer Erlöse an die Filmförderungsanstalt abführen. Bundestagsdrucksache 18/8592

…der Klimaschutzplan auf Druck der Unionsfraktion nachgebessert wurde? Deutschland steht zu seinem Ziel, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken. Der Mitte November 2014 vom Bundeskabinett beschlossene Klimaschutzplan 2050 sieht hierfür ein umfangreiches Maßnahmenpaket vor. Dem Beschluss ging ein langes Ringen voraus, an dem die Unionsfraktion maßgeblich beteiligt war. Der Einsatz hat sich gelohnt. Die jetzt beschlossene Fassung erkennt an, dass Klimaschutz Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand nicht gefährden darf. Wer beim Klimaschutz erfolgreich sein will, muss konsequent auf Technologieoffenheit und Innovation, auf Anreize und auf Kosteneffizienz setzen. Abwegige Vorschläge des Bundesumweltministeriums wie eine staatlich verordnete Halbierung des Fleischkonsums oder das pauschale Aus für Öl- und Gasheizungen sowie Verbrennungsmotoren sind auf Druck der Fraktion aus dem Entwurf gestrichen worden. Klimaschutz, der auf Bevormundung und Verzicht setzt, findet keine Akzeptanz bei den Menschen. Gesetzgeberischen Maßnahmen zur Umsetzung des Plans muss der Bundestag zustimmen. Die Fraktion wird im parlamentarischen Prozess dafür sorgen, dass Deutschland beim Klimaschutz weiterhin ambitioniert, aber auch mit wirtschafts- und sozialpolitischem Augenmaß vorgeht.

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…Menschen mit Behinderungen bessere Chancen erhalten? Menschen, die aufgrund einer wesentlichen Behinderung nur eingeschränkt am Leben in der Gemeinschaft teilhaben können, sollen aus dem bisherigen »Fürsorgesystem« herausgeführt werden. Mehr Selbstständigkeit ist das Ziel des neuen Bundesteilhabegesetzes, das der Bundestag in dieser Woche beschließen wollte. Vorgesehen ist unter anderem, dass die Freibeträge der Betroffenen beim Einkommen und Vermögen zum ersten Mal seit 15 Jahren spürbar erhöht werden. Für die Union ist besonders wichtig, dass die Einkommen der Lebenspartner nicht länger für die Finanzierung der Eingliederungshilfe herangezogen werden. Damit wird das faktische Heiratsverbot für viele Menschen mit Behinderungen endlich aufgehoben. Menschen mit Behinderungen und ihre Familien müssen wissen, welche Leistungen ihnen zustehen und wie sie diese erhalten. Daher wird der Bund künftig unabhängige Beratungsstellen fördern und damit Betroffene sowie deren Angehörige in ihren Rechten stärken. Zudem wird der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt für Behinderte deutlich verbessert. Zwar wird niemand dazu gedrängt, auf den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln. Doch wer das möchte, kann künftig von dem neuen »Budget für Arbeit« profitieren. Aus diesem Budget erhalten Arbeitgeber einen Lohnkostenzuschuss von bis zu 75 Prozent des ortsüblichen Lohnes, wenn sie einen schwerbehinderten Arbeitnehmer einstellen. Bundestagsdrucksache 18/9522

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – Dezember 2016/Januar 2017

© Shestock/Blend Images/Getty Images

In Deutschland sind derzeit etwa 2,63 Millionen Menschen auf Pflege angewiesen.

Das Ende der Minutenpflege Pflegeversicherung umfassend reformiert – Erhalt der Selbstständigkeit im Mittelpunkt – Demenzkranke gleichberechtigt einbezogen

Der Brennpunkt

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»Die Pflegeversicherung ist nun für die Heraus­ forderungen einer alternden Gesellschaft gewappnet.«

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ie Menschen in Deutschland werden immer älter. Viele von ihnen erfreuen sich im Ruhestand guter Gesundheit. Mit dem Anstieg der Lebenserwartung nimmt jedoch auch die Zahl derjenigen zu, die im Alter auf Pflegeleistungen angewiesen sind. Laut Statistischem Bundesamt sind das derzeit 2,63 Millionen Menschen. Bis 2030 wird ihre Zahl vermutlich auf 3,5 Millionen anwachsen. Damit Betroffene im Alter ein Leben in Würde führen können, brauchen sie gute Pflege. Mit umfassenden Reformen hat die unionsgeführte Koalition in dieser Wahlperiode die Weichen dafür gestellt, dass die Pflegeversicherung diesem Anspruch auch in Zukunft gerecht wird. Gleichzeitig wurde die Finanzierung auf eine solide Grundlage gestellt. Auf Betreiben des damaligen Bundesarbeitsministers Norbert Blüm (CDU) wurde 1995 die Pflegeversicherung in Deutschland eingeführt – eine große Errungenschaft. In den mehr als 20 Jahren ihres Bestehens stieg aber ange-

sichts sinkender Geburtenzahlen und einer zunehmenden Zahl von Pflegefällen nicht nur der Finanzbedarf. Auch wurden Defizite in der Versorgung sichtbar. Daher musste die Koalition handeln. Sie verabschiedete im Laufe der Wahlperiode drei sogenannte Pflegestärkungsgesetze, mit denen Neuerungen in verschiedenen Bereichen eingeführt wurden. Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, Maria Michalk, kommt zu dem Fazit: »Das System der Pflegeversicherung ist nun für die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft finanziell gewappnet.«

Vorsorgefonds neu aufgelegt Mit der ersten Stufe der Reform, die Anfang 2015 in Kraft trat, wurden die Pflegeleistungen verbessert. Viele Menschen erhielten mehr Rechte, mehr Geld und flexiblere Leistungen. Die Vergütungen für fast alle Pflegeleistungen wur-

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – Dezember 2016/Januar 2017

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Der Brennpunkt den erhöht, womit die Preissteigerungen der vergangenen Jahre ausgeglichen wurden. Zur Finanzierung der Kosten wurde der Beitragssatz zur Pflegeversicherung zunächst um 0,3 Prozentpunkte angehoben. Zum 1. Januar 2017 steigt er im Rahmen der zweiten Reformstufe nochmals um 0,2 Prozentpunkte. Somit stehen ab 2017 fünf Milliarden Euro jährlich für konkrete Verbesserungen zugunsten der Pflegebedürftigen, ihrer Angehörigen und der Pflegekräfte zur Verfügung.

Die Demenzforschung vorantreiben Bundestag lässt Teilnahme von Erkrankten an Tests unter strengen Auflagen zu

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außerdem verpflichtet, sich zuvor von einem Arzt beraten zu n Deutschland leiden derzeit schätzungsweise 1,6 Milliolassen. Ein Änderungsantrag zum Gesetzentwurf hatte vorgesenen Menschen an Demenz. Und die Zahlen gehen nach hen, dass der Betreffende auf diese Beratung verzichtet. Diese oben. Weil die Forschung eingeschränkt ist, gibt es bislang Option lehnte die deutliche Mehrheit der Parlamentarier ab. Ein keine Möglichkeit, diese Erkrankungen ursächlich zu behanweiterer Änderungsantrag wollte die Möglichkeit der gruppendeln. Deshalb stimmte der Bundestag Mitte November nach nützigen Forschung unter Berufung auf die Würde des Menlangen und kontroversen Debatten dafür, klinische Forschung schen und seiner körperlichen Unversehrtheit komplett verhinan Demenzkranken zu erlauben, die nicht mehr bewusst dern. Auch er kam nicht zustimmen können und durch. Die Fraktionsdis­ selbst nicht mehr von Die häufigsten Formen von Demenz ziplin war bei dieser dem Forschungsergebnis Anteile weltweit Abstimmung wie bei profitieren werden. Vor5% allen ethischen Fragen aussetzungen sind: Sonstige aufgehoben. Betroffene müssen vor 15% ihrer Erkrankung in die Mischformen Teilnahme an solchen Einwilligung kann von Demenz Studien eingewilligt und jederzeit widerrufen dies in einer Probandenwerden 15% verfügung schriftlich Vaskuläre Demenz festgehalten haben. Über Das Gesetz sieht auch Nutzen, Folgen und Risivor, dass die Einwilli65% ken müssen sie zuvor von gungserklärung jederzeit Alzheimer-Demenz einem Arzt aufgeklärt formlos widerrufen werworden sein. den kann. Um seinen Quelle: Statista; Stand: 2011 Bei der »gruppenWiderwillen auszudrünützigen Forschung« – so cken, reicht es bereits der Fachbegriff – geht es darum, Studien an Patienten auch aus, wenn der Proband beispielsweise das Medikament oder dann zuzulassen, wenn erst Generationen nach ihnen aus den das ärztliche Personal wegstößt. Forschungsergebnissen Nutzen ziehen. Vielen Menschen, bei Wenn die konkrete Entscheidung über die Teilnahme an denen Demenzerkrankungen – etwa Alzheimer – in der Familie einer klinischen Prüfung ansteht, muss auch der Betreuer liegen, wünschen sich solche Forschungsprojekte, um den zustimmen. Der Prüfungsteilnehmer darf darüber hinaus nur medizinischen Fortschritt voranzutreiben und ihre Kinder und einem minimalen Risiko oder einer minimalen Belastung ausEnkel vor einer Erkrankung zu bewahren. gesetzt sein. Dabei handelt es sich beispielsweise um Speichelproben oder Blutentnahmen. Jeder Antrag zu einer klinischen Studie muss von einer öffentlich-rechtlichen Ethik-Kommission Ärztliche Beratung Pflicht begutachtet werden. Wenn nicht einwilligungsfähige Probanden beteiligt sind, muss auch die Bundesoberbehörde zusätzLaut Gesetz muss jemand, der später an Projekten der Demenzlich zustimmen. forschung teilnehmen möchte, seine Einwilligung schriftlich niederlegen, so lange er dazu noch geistig in der Lage ist. Er ist

Der Brennpunkt

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© Jovana Milanko/Stocksy

Zur Entlastung der professionellen Pfleger werden zusätzlich Betreuungskräfte eingestellt, die sich um die menschliche Seite des Pflegealltags kümmern.

Ein kleiner Teil der erhöhten Beitragseinnahmen – nämlich 0,1 Prozentpunkte – fließt auf Drängen der Unionsfraktion seit 2015 jährlich in einen neu aufgelegten Vorsorgefonds. Dieser Topf soll mindestens über 20 Jahre angespart werden. Mit den Rücklagen wird dafür gesorgt, dass die Beiträge stabil bleiben – auch dann, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in das typische Pflegealter kommen, also ab 2035. »Was wir hier tun, kostet viel Geld«, resümiert der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Georg Nüßlein (CSU). »Aber es sind die unumstrittensten Beitragserhöhungen im Sozialversicherungsbereich, die wir jemals hatten.«

Einstufung nach dem Grad der Fähigkeiten Mit dem zweiten Reformgesetz werden die drei Pflegestufen zum 1. Januar 2017 in fünf Pflegegrade überführt. Die Hilfe kommt somit passgenauer dort an, wo sie gebraucht wird. Vorbei ist es mit der in Verruf geratenen »Minutenpflege« beim Waschen, Anziehen oder beim Essen. Künftig zählt nicht die Zeit, die für die Pflege aufgewendet wird, sondern der Grad der Selbstständigkeit eines Menschen, der Pflege braucht. Dafür ausschlaggebend sind unter anderem seine Fähigkeiten in den Bereichen Mobilität, geistige Auffassungsgabe und Kommunikation. Es wird auch darauf geschaut, ob der Betroffene sich selbst versorgen oder soziale Kontakte unterhalten kann, ob er psychische Probleme hat oder Schwierigkeiten bei der Bewältigung von Therapien. Neu definiert wird außerdem der Begriff der Pflegebedürftigkeit, der sich ursprünglich auf rein körperliche Einschränkungen bezog. Nüßlein bezeichnet diese Neudefinition als »Herzstück« der Reform. Denn künftig erhalten auch Menschen mit geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen – unter anderem Demenzkranke – einen gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung. Schon 2015 wurde der Anspruch auf Leistungen der Kurzzeit- und Verhinderungspflege auf Demenzkranke ausgeweitet, was eine starke Entlastung für deren Angehörige bedeutet. »Hiermit schließen wir eine große Gerechtigkeits­ lücke«, sagt der Fachpolitiker Erwin Rüddel (CDU). Die zusätzlichen fünf Milliarden Euro, die die Koalition in dieser Legislaturperiode in die bessere Versorgung von Demenzkranken gesteckt habe, »sind jeden Cent wert«.

»Wir schließen eine große Gerechtigkeits­ lücke.«

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – Dezember 2016/Januar 2017

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Der Brennpunkt »Bei der Umstellung ist wichtig, dass kein Pflegebedürftiger, der heute schon Leistungen erhält, schlechter gestellt wird«, unterstreicht Maria Michalk. Menschen mit körperlichen Einschränkungen werden in den nächst höheren Pflegegrad übergeleitet, Menschen mit geistigen oder psychischen Einschränkungen, die eventuell auch körperlich beeinträchtigt sind, erhalten den übernächsten Pflege­grad. Damit kommen viele Menschen sogar in den Genuss von Verbesserungen. Mittelfristig könnten durch den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff 500.000 mehr Menschen Anspruch auf Leistungen haben als bisher.

Selbstbestimmtes Leben im Alter Die meisten Menschen wünschen sich auch im Alter ein selbstbestimmtes Leben. Damit sie trotz Pflegebedürftigkeit in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben können, erhalten sie Geld für Umbaumaßnahmen. Der Einbau einer barrierefreien Dusche oder die Verbreiterung einer Tür wird mit bis zu 4.000 Euro pro Maßnahme gefördert. Neben den Pflegeleistungen können Betroffene auch Betreuungsleistungen in Anspruch nehmen. Hierzu zählen insbesondere haushaltsnahe Dienstleistungen wie Einkaufen oder Wäschewaschen, aber auch soziale Betreuung wie gemeinsame Spaziergänge oder Lesestunden. Zwei Drittel aller Pflegebedürftigen werden von Angehörigen betreut, von denen viele – wie Georg Nüßlein betont – an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gehen. Daher habe man die Hilfe für die Pflege zu Hause »schon zu Anfang 2015 mit insgesamt 1,4 Milliarden Euro verstärkt«, sagt er. Neben der höheren finanziellen Unterstützung brauchen die Angehörigen vor allem mehr zeitliche Flexibilität. Mit dem Ausbau der Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie der Tagesund Nachtpflege erhalten sie die Gelegenheit, sich eine Auszeit zu nehmen, etwa um anderen Verpflichtungen nachzugehen oder Urlaub zu nehmen.

»Keiner bekommt schlechtere Leistungen« Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Maria Michalk, zur Pflegereform

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rau Michalk, welche Verbesserungen bringt die dreistufige Pflegereform für die Betroffenen? Michalk: Das erste Pflegestärkungsgesetz bringt Leistungsverbesserungen für Betroffene und pflegende Angehörige. Zweidrittel aller Pflegebedürftigen werden von Angehörigen gepflegt. Diese brauchen neben einer höheren finanziellen Unterstützung vor allem mehr zeitliche Flexibilität. Zu diesem Zweck wurden Kurzzeit- und Verhinderungspflege genauso wie Tages- und Nachtpflege deutlich ausgebaut. Die Angehörigen haben damit die Möglichkeit, eine Auszeit vom anstrengenden Pflegealltag zu nehmen. Das zweite Gesetz mit der Umstellung der drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade ermöglicht ab dem 1. Januar 2017 einen gleichberechtigten Zugang von Menschen mit körperli-

chen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen zu allen Pflegeleistungen. Wichtig ist uns, dass alle Pflegebedürftigen auch nach der Umstellung keine schlechteren Leistungen bekommen als vorher. Und auch für die pflegenden Angehörigen haben wir etwas getan, sie werden in der Renten- und Arbeitslosenversicherung besser abgesichert. Im dritten Pflegestärkungsgesetz sorgen wir für eine vernetzte Beratung vor Ort. Die Einbeziehung der Kommunen ist mit Blick auf behinderte Menschen unverzichtbar. In 60 Modellregionen kann erprobt werden, wie die Zusammenarbeit besser funktionieren kann. Gibt es Pflegebedürftige, die künftig schlechter gestellt werden?

Der Brennpunkt

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Auch diejenigen Pflegebedürftigen, die in Heimen untergebracht sind, werden besser betreut. Zur Entlastung der professionellen Pfleger sind dort seit 2015 bis zu 45.000 sogenannte Betreuungskräfte tätig. Die Betreuungskräfte haben Zeit für Gespräche oder einen Spaziergang, sie lesen vor und kümmern sich um die menschliche Seite im Pflegealltag. Ebenfalls der Entlastung der professionellen Pfleger dient der Bürokratieabbau. Jede Minute, die nicht auf Dokumentationspflichten verwendet werden muss, lässt mehr Zeit für die fachgerechte Pflege.

Kommunen zuständig für Beratung In einem dritten Reformschritt, den der Bundestag Anfang Dezember beschließen sollte, werden ab 2017 die Handlungsmöglichkeiten der Kommunen ausgeweitet. Die Kommunen erhalten vor allem mehr Kompetenz bei der Beratung, da sie sich am besten mit den Angeboten vor Ort auskennen. Sie sollen sich auch um eine Verbesserung der Kooperation von Dienstleistern sowie die Koordination und Steuerung von Hilfeleistungen kümmern. »Aufgabe der Kommune muss es sein, Versorgungslücken zu erkennen und zu schließen«, fordert Rüddel. Zu guter Letzt verschärft die Koalition den Kampf gegen Abrechnungsbetrug in vielen Bereichen der Pflege. Vor allem Betrugsfälle bei mobilen Pflegediensten haben gezeigt, dass es Regelungslücken gibt. Daher soll der Medizinische Dienst der Krankenkassen mehr Kontrollrechte bekommen und Abrechnungen systematisch wie stichprobenartig überprüfen können. Damit wird auch der Ruf der korrekt arbeitenden Pflegedienste geschützt. Georg Nüßlein kündigte zudem an, dass die Union das Thema »Pflege-TÜV« in Angriff nehmen werde, damit die Verbraucher bei der Auswahl eines Heimes künftig eine echte Orientierung bekommen. Bundestagsdrucksachen 1. PSG I: 18/1798; 2. PSG II: 18/5926; 3. PSG III: 18/9518

Maria Michalk Gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

© Laurence Chaperon

und mithin höheren Pflegeaufwendungen die entsprechende Höherstufung zu ermöglichen. Bisher wurde die Höherstufung nämlich oft wegen der damit verbundenen höheren Zuzahlung gescheut, die zu Lasten der Pflegebedürftigen ging.

Michalk: Niemand wird schlechter gestellt. Es gibt sogar Verbesserungen: So ist künftig der finanzielle Anteil, den der zu Pflegende selbst tragen muss, für stationäre Pflegeeinrichtungen in allen Pflegegraden gleich hoch. Das ist bewusst so gewählt, um bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustands

Wie wird sichergestellt, dass die Beiträge zur Pflegever­ sicherung nicht explodieren, wenn die Generation der Babyboomer auf Pflegeleistungen angewiesen sein wird? Michalk: Erstmals haben wir einen Vorsorgefonds eingerichtet, der eine Beitragssatzexplosion verhindern soll. In ihn fließen seit 2015 jährlich 0,1 Prozentpunkte der Beitragseinnahmen. Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass die gesamte Beitragserhöhung von 0,5 Prozentpunkten akzeptiert wird, weil sie weitestgehend der Verbesserung der Leistungen dient. Kein einziger Protestbrief ist bei uns eingegangen. Die Menschen wissen, dass gute Pflege etwas kostet.

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – Dezember 2016/Januar 2017

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Die Themen

Russland ist wieder zu einem unberechenbaren Akteur auf der internationalen Bühne geworden.

Die Themen

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»Politik der ausgestreckten Hand« CDU/CSU-Bundestagsfraktion steckt Leitlinien im Umgang mit Russland ab – Positionspapier verabschiedet

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in Vierteljahrhundert nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist aus Russland wieder ein unberechenbarer Akteur auf der internationalen Bühne geworden. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, die militärische Intervention in der Ostukraine, die Unterstützung von Diktator Baschar al-Assad im syrischen Bürgerkrieg – mit all dem hat der russische Präsident Wladimir Putin das Vertrauen des Westens auf eine harte Probe gestellt. In einem Positionspapier hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nun Leitplanken im Umgang mit Russland abgesteckt. Die oberste Maxime der Fraktion lautet: »So viel Zusammenarbeit wie möglich, so viel Verteidigungsfähigkeit wie nötig.« So kritisiert die Fraktion einerseits das fragwürdige Verhalten Russlands, betont andererseits die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit im Rahmen einer europäischen Sicherheitsordnung. Trotz aller Schwierigkeiten heißt es in dem Papier, es bleibe bei der »Politik der ausgestreckten Hand«. Dafür plädiert auch der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder: »Wir müssen den Russen deutlich machen, dass niemand Interesse an einer neuen Eiszeit haben kann. Wir müssen aber zugleich dafür sorgen, dass der Westen einig und stark auftritt.« Fraktionsvize Franz Josef Jung brachte diese Haltung auf die Formel: »Dialogbereitschaft im Umgang und Standfestigkeit in den Prinzipien.«

Der Machthunger Russlands manifestierte sich erstmals in der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im März 2014 – ein eindeutiger Völkerrechtsbruch. Zugleich stellt Moskau damit die europäische Sicherheitsordnung – festgeschrieben in der Charta von Paris aus dem Jahre 1990 – fundamental in Frage. Wesentliche Elemente dieser Ordnung sind die Souveränität und territoriale Integrität von Staaten. Mehr noch: Mit der Annexion der Krim verstieß Putin auch gegen das Memorandum von Budapest aus dem Jahre 1994, in dem sich die Ukraine zur Abgabe aller Atomwaffen verpflichtete und Russland im Gegenzug die Unverletzlichkeit ihrer Grenze garantierte.

Fahrplan für die Umsetzung von Minsk skeptisch bewertet Wie viel diese Zusicherung Wert ist, zeigt sich auch im Konflikt, den Russland seit mehr als zwei Jahren im Osten der Ukraine schürt, indem es die ukrainischen Separatisten im Donbass unverhohlen unterstützt. Trotz aller Bemühungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten François Hollande um eine Lösung, droht aus der Aus­ einandersetzung ein »frozen conflict« zu werden. Das im Februar 2015 von Merkel und Hollande ausgehandelte Minsker Abkommen ist noch in keinem Punkt umgesetzt. Beim Besuch von Präsident Putin im Oktober in Berlin – der erste seit

© Hauke Dressler/LOOK/Getty Images

»Kein Interesse an einer neuen Eiszeit«

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – Dezember 2016/Januar 2017

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Die Themen

der Krim-Krise – wurde ein neuer Versuch unternommen voranzukommen: Nun soll ein Fahrplan für die Umsetzung von Minsk erarbeitet werden. Franz Josef Jung zeigte sich anschließend zurückhaltend, was die Umsetzung dieses Fahrplans angeht: »Der größte Teil der bisher getroffenen Absprachen ist wegen des mangelnden Willens der Konflikt­ parteien – vor allem der ukrainischen Separatisten und Russlands – nicht umgesetzt worden.« Gleichwohl bewertete er die neue Vereinbarung als »Chance zur Vertrauensbildung und Stabilisierung«. Jung spricht sich auch dafür aus, im Zuge der Vertrauensbildung den NATO-Russland-Rat künftig wieder regelmäßig – auch auf Minister­ ebene – tagen zu lassen. Die Einstellung des NATO-Russland-Rates war eine der ersten Reaktionen der transatlantischen Allianz auf die Annexion der Krim gewesen. Inzwischen hat das Bündnis seine Krisenreaktionskräfte verstärkt und die Weichen für die Erhöhung seiner Rüstungsausgaben gestellt. Zum Schutz der östlichen Mitgliedstaaten Lettland, Litauen, Estland und Polen hat es rund 9.000 Soldaten dorthin verlegt, von denen die Bundeswehr 1.000 stellt. Deutschland übernimmt auch die Führung eines Bataillons in Litauen. Mit diesen Maßnahmen reagiert die NATO auf Russlands Verletzungen des Luftraums im Baltikum, Aufrüstungsmaßnahmen und massive Truppenübungen an seiner Westgrenze. Als bedrohlich empfindet es der Westen

auch, dass Putin neuerdings die Interessen seines Landes überall dort berührt sieht, wo russischstämmige Minderheiten leben – beispielsweise im Baltikum. Dass die NATO all das nicht tatenlos hinnehmen kann, ist für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion selbstverständlich. Irritiert reagierte sie deshalb auf Äußerungen des Bundesaußenministers im Frühsommer, der der Allianz anlässlich eines lange geplanten Manövers »Säbelrasseln und Kriegsgeheul« vorwarf. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, findet es »schlicht falsch«, die NATO für die Verschlechterung des Verhältnisses zu Russland verantwortlich zu machen. »Das wird der Sache keinesfalls gerecht«, sagt er.

»Der größte Teil der Absprachen ist nicht umgesetzt worden.«

Auch die Europäische Union hat auf Russlands Aggression unmittelbar reagiert – mit Verhängung von Sanktionen, darunter Einreise- und Einfuhrverbote. Vor allem die Wirtschaftssanktionen zeigen inzwischen Wirkung, verstärkt durch die niedrigen Rohölpreise und den schwachen Rubel, unter denen Russland ebenfalls leidet. Auch die Unterstützung der Krim und die Finanzierung der Auseinandersetzung im Donbass-Gebiet kommt Russland teuer zu stehen, wie der CDU-Experte Karl-Georg Wellmann konstatiert. Zudem schlage das militärische Engagement an der Seite

© Picture Alliance/Sputnik Pool/Michael Klimentyev

Erstmals seit der Annexion der Krim besuchte Putin im Oktober Berlin.

Sanktionen wirken

Die Themen

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Hybride Kriegsführung – alte Strategie unter neuem Namen Russland versucht den Westen zu spalten die Verunsicherung der Bevölkerung. Mit dieser Strategie versucht Russland derzeit, einen Keil in den Westen zu treiben, Europa und die USA zu spalten, um seinen Einfluss in Europa auszubauen. Je schwächer der Westen, desto stärker erscheint Russland – nach innen und nach außen. Politisch versucht es sich als Anker für Stablität und Verlässlichkeit zu präsentieren, moralisch als Hüter der abendländischen Zivilisation.

Verschwörungstheorien und gezielte Desinformation Einfachste Mittel sind zunächst Desinformation über staatlich gelenkte Medien wie dem russischen Fernseh­ sender Russia Today oder Verschwörungstheorien, die über Internetforen verbreitet werden. Auch vor Deutschland macht Russland dabei nicht halt. Die Unionsfrak-

tion hat sich daher dem Thema in einem Informationsgespräch mit Experten an­genommen. Eingängiges Beispiel für gezielte Desinformation war 2015 der »Fall Lisa«. Die 13-jährige Russlanddeutsche war auf dem Schulweg verschwunden und erst am nächsten Tag wieder aufgetaucht. Angeblich war sie von »arabischen Flüchtlingen« entführt und vergewaltigt worden. Nichts davon erwies sich als wahr, doch Russlanddeutsche demonstrierten ihretwegen vor dem Kanzleramt. Der russische Außenminister Sergej Lawrow schaltete sich ein und bezichtigte deutsche Behörden der Vertuschung. Ein Gefühl der Verunsicherung machte sich breit.

Staatlich gelenkte Medien wie der Fernsehsender Russia Today verbreiten Verschwörungstheorien.

von Machthaber Assad gegen die Islamisten in Syrien mit hohen Kosten zu Buche. Anders als der Westen unterscheidet Moskau nicht zwischen dem Terrornetzwerk IS sowie anderen islamistischen Kräften einerseits und der gemäßigten islamischen Opposition andererseits. Trotz der hohen Kosten – was die Finanzen und die Reputation angeht – lässt Putin bisher keine Bereitschaft zum Einlenken erkennen. In den Verhandlungen mit den USA über einen Waffenstillstand in Syrien mauert er, obwohl die Menschen in Städten wie Aleppo hungern und der Bürgerkrieg mit militärischen Mitteln nicht beizulegen ist. Was für den Kreml-Chef zählt sind nicht nur geostrategi-

sche Interessen. Vielmehr will er unter Beweis stellen, dass Russland auf Augenhöhe mit den USA agiert. »Im Umgang mit Russland braucht der Westen einen langen Atem«, heißt es daher in dem Positionspapier der Fraktion. Vertrauensbildung werde nur dort gelingen, wo beide Seiten gemeinsame Interessen definieren können – zum Beispiel in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Erst wenn die europäische Friedensordnung wiederhergestellt sei, könne man zu langfristigen Zielen zurückkehren wie der Errichtung einer Freihandelszone von Wladiwostok bis Lissabon – einem russischen Vorschlag, der bislang zu wenig vom Westen diskutiert worden sei.

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – Dezember 2016/Januar 2017

© Picture Alliance/ZB/Sascha Steinach

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ybride Kriegsführung« ist inzwischen ein Mode­begriff. Darunter » versteht man eine Mischung aus militärischem Druck und gezielten Angriffen, Spezialkommandos und Geheimdienstoperationen, Desinformationskampagnen und Cyberattacken, ökonomischem Zwang und ziviler Revolte. Die Strategie dahinter ist in Wirklichkeit so alt wie das trojanische Pferd; neu hinzugekommen ist allenfalls der Cyberraum. Schon immer haben Staaten zeitgleich unterschiedlichste Mittel eingesetzt, um ihren Einfluss zu mehren. Vor allem Russland setzt derzeit die hybride Kriegsführung ein, um seinen Einflussbereich auszudehnen. Die Methoden, die Moskau nutzt, sind vielfältig. Sie reichen von gezielten Luftraumverletzungen im Baltikum über die Petersburger Trolle, die den Meinungsmarkt in den sozialen Medien beeinflussen, bis zu den »grünen Männchen«, also russischen Soldaten ohne Uniform und ohne Hoheitsabzeichen, die unmittelbar vor der Annexion der Halbinsel Krim dort Straßensperren errichteten und öffentliche Gebäude besetzten. Ziel der hybriden Kriegsführung ist die Destabilisierung anderer Länder, die Diskreditierung ihrer Regierungen,

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Das Gespräch

Moderne Rente aus einem Guss Interview mit Karl Schiewerling zur Rentendebatte

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err Schiewerling, Sie sind als ar­ beitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundes­ tagsfraktion und Rentenexperte mitten drin in der aktuellen Rentendebatte. Was sind aus Ihrer Sicht die Knackpunkte? Schiewerling: In der Debatte um eine zukunftsfeste Rente geht es um viele Teilaspekte, die sich sinnvoll ergänzen müssen. Wenn wir das Vertrauen in die drei Säulen des Rentensystems – gesetzliche Rente, betriebliche Rente, private Vorsorge – dauerhaft erhalten wollen, dann brauchen wir eine klare Linie, eine Orientierung für die Menschen. Wie kann eine solche Linie aussehen? Schiewerling: Ich habe unserer Arbeitsgruppe bereits im Frühjahr einen Zehn-Punkte-Plan vorgestellt, der die wichtigsten Stellschrauben in den Blick nimmt. An diesem Plan halte ich nach wie vor fest, einiges davon hat der Koalitionsausschuss auch aufgegriffen. Worum geht es dabei konkret? Schiewerling: Es geht darum, die gesetzliche Rentenversicherung als tragende Säule zu stärken, zudem aber auch die Betriebsrenten und die Privatvorsorge stärker in den Blick zu nehmen und auszubauen. Denn alle drei Säulen des Rentensystems sind wichtig. Wer vernünftig fürs Alter vorsorgen will, der muss in mindestens zwei der drei Säulen einzahlen. So viel ist klar. Aus diesem Grund sollte über die aktuelle Beschlusslage hinaus die betriebliche Altersvorsorge zur Pflicht werden. Zudem müssen, vor allem mit Blick auf kleine und mittelständische Betriebe, Förderwege vereinfacht und zielgenau ausgebaut werden. Das geschieht jetzt mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz.

»Die betriebliche Altersvorsorge sollte zur Pflicht werden.«

Vor allem die demografische Entwicklung stellt das Rentensystem vor Herausforderun­ gen. Welche Schritte sind notwendig, damit der Generationenvertrag nicht zu einem Ge­ nerationenkonflikt wird?

Schiewerling: Wichtig ist der Blick auf alle Stellschrauben. Das muss man sauber austarieren. Ein sinkendes Rentenniveau ist nicht gleichzusetzen mit sinkenden Renten. Es ist aus meiner Sicht dennoch wichtig, das Rentenniveau bis 2030 und darüber hinaus bei 45 Prozent zu stabilisieren. Eine Beteiligung der Beitragszahler oder längeres Arbeiten ist für ein besseres Rentenniveau unentbehrlich. Aber die Jüngeren dürfen dadurch nicht überfordert werden, auch hier muss es eine Haltelinie geben. Wie kann längeres und flexibleres Arbeiten möglich werden? Schiewerling: Mit der Flexi-Rente haben wir bereits einen wichtigen Schritt in Richtung »zukunftsfeste Rente« gemacht. Sie ermöglicht und belohnt längeres Arbeiten. Mit ihr lässt sich der Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand individueller und fließender gestalten. Sie ist damit ein wichtiger Baustein für eine moderne Rente. Wir müssen mit Blick auf den Generationenvertrag aber das ganze System mit all seinen Stellschrauben sehen und dort nachjustieren, wo es nötig ist. In den Medien wird vielfach von drohender Altersarmut gesprochen. Ist das ein Problem, das auf uns zukommt? Schiewerling: Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass von der Grundsicherung im Alter ganz überwiegend diejenigen Rentner betroffen sind, die wegen Erwerbsminderung aus dem Berufsleben ausgeschieden sind. Deshalb sollten wir die Erwerbsminderungsrenten anheben. Es ist nun geplant, die Zurechnungszeit stufenweise zu verlängern und so die Rentenansprüche zu erhöhen. Die Lebensleistungsrente als Signal gegen Al­ tersarmut ist ein schwieriges Projekt. Warum ist das so? Schiewerling: Das Problem bei der Lebensleistungsrente ist, dass zwei Systeme ineinandergreifen: die Rente als Versicherungs- und die Sozialhilfe als Fürsorgesystem. Die Rentenversicherung kennt im Unterschied zum Sozialamt natürlich keine Ver­ mögensüberprüfung. Es kann aber nicht sein, dass diejenigen, die lange erwerbstätig waren, die Kinder

Das Gespräch

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erzogen oder alte Eltern gepflegt haben, im Alter auf die Grundsicherung angewiesen sind. Wir werden prüfen, was man bei Geringverdienern tun kann.

zehnte hinaus hohe Kosten verursachen und zwischen den Generationen neue Ungerechtigkeit schaffen.

Viele Freiberufler sind nur unzureichend für das Alter abgesichert. Was kann die Politik hier tun? Schiewerling: Damit Selbstständige später von ihrer Rente leben können, sollten sie generell verpflichtet werden, für ihren Ruhestand so vorzusorgen, dass sie im Alter nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind. Dies könnte dann nach dem Vorbild der Handwerkerpflichtversicherung in der gesetzlichen Rente oder aber mit einer Pflicht zur Privatvorsorge erfolgen.

Wie sieht es mit der Angleichung der OstWest-Renten aus? Schiewerling: Die Rentenangleichung kommt. Das ist jetzt beschlossene Sache. Es ist gut, dass unser Vorschlag aufgegriffen wurde, die Schritte etwas zu entzerren.

»Selbstständige sollten für den Ruhestand vorsorgen.«

Auch die Situation der Mütter ist ein Thema in der aktuellen Rentendebatte. Was halten Sie von der Forderung, die Mütterrente für Frau­ en, die vor 1992 Kinder geboren haben, um einen weiteren Punkt zu erhöhen? Schiewerling: Wir haben ja schon viel getan und das war gut so. Die Mütterrenten nochmals um einen Punkt zu erhöhen, halte ich sowohl aus finanziellen wie auch aus grundsätzlichen Erwägungen für problematisch. Eine solche Maßnahme würde auf Jahr-

Warum ist eine einheitliche Vorsorgeinfor­ mation in Ihren Augen so wichtig? Schiewerling: Das Thema wird jetzt nur ansatzweise aufgegriffen, aber wir sollten es umfassender lösen: Denn ein zentrales Problem ist, dass viele Menschen gar nicht wissen, was ihnen in der Summe aus den Systemen der gesetzlichen, betrieblichen und privaten Altersvorsorge zum Leben bleibt. Wir brauchen daher eine einheitliche und für alle verständliche Vorsorgeinformation. Dafür ist es aber notwendig, Rentenversicherung, Versorgungswerke, Anbieter und Arbeitgeber bald an einen Tisch zu holen. Bundestagsdrucksache 18/97878

© Steven Rösler

Karl Schiewerling Arbeitsmarkt- und sozial­ politischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – Dezember 2016/Januar 2017

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Die Themen

Soziale Medien stärker regulieren Betreiber müssen Hass-Kommentare entfernen – Fristen setzen und Beschwerdestellen einrichten

© Picture Alliance /Bildagentur-online/Ohde

Plattformbetreiber oft zu nachlässig

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oziale Medien bieten der Politik einen direkten Draht zur Gesellschaft. Ohne Umweg über Zeitungen, Fernsehen oder Radio können Regierungen, Parteien und Verbände die Bürger heute schnell und zielgerichtet informieren. Bürger selbst wiederum können politische Diskussionen anstoßen, Anhänger für ihre Sache gewinnen oder Protest organisieren. Facebook, Twitter, Youtube und Co. entwickeln sich aber immer mehr zu Plattformen, auf denen Unwahrheiten und Hass verbreitet, auf denen Menschen verunglimpft und gemobbt werden. Daher setzt sich CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder mit Unterstützung vieler Fachpolitiker in der Fraktion für eine stärkere Regulierung ein. Meist sind es Einzelne, die hinter den Diffamierungskampagnen stecken. Manchmal versuchen auch Regierungen und Organisationen, über diesen Weg die politische Debatte zu beeinflussen. Bekanntestes Beispiel ist Russland und seine Armee von Trollen. Mitunter werden sogar Meinungsroboter, sogenannte social bots, eingesetzt, um bestimmte Stimmungen zu verstärken. Das alles beeinflusst den politischen Diskurs, der für eine Demokratie unerlässlich ist, auf negative Weise. Die Auseinandersetzungen in den sozialen Medien verrohen. In Online-Kommentaren und Bürgerzuschriften wird eine Sprache verwendet, die vulgär und abstoßend ist.

Hetze, Verleumdung und Beleidigung sind Rechtsverstöße, die eigentlich geahndet werden müssen. Nicht nur die Verfasser hasserfüllter Kommentare müssten dafür zur Verantwortung gezogen werden, sondern zu einem beträchtlichen Teil auch die Betreiber der Plattformen. Sie haben aber über Jahre ihre gesetzlichen Pflichten eklatant vernachlässigt. »Dabei wird von ihnen nicht einmal viel verlangt«, sagt Kauder. Laut Telemediengesetz müssten sie lediglich die rechtswidrigen Inhalte auf ihren Seiten unverzüglich entfernen, sobald sie davon Kenntnis erlangen. Aber selbst diesen eingeschränkten Pflichten zur Löschung kommen sie kaum nach. Opfer von Verunglimpfungen beklagen, dass schon die Meldung von Rechtsverstößen schwierig sei. Reagierten die Betreiber dennoch, so seien ihre Antworten oft unbefriedigend. Seit langer Zeit ist die Bundesregierung im Dialog mit den Plattformbetreibern, um von ihnen die Einhaltung des Rechts zu verlangen – was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Nun fordern Kauder und die rechtspoli­tische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Winkel­ meier-Becker, auch Rechtsverschärfungen. Im Januar will die Fraktion zu dem Thema ein Fachgespräch veranstalten. Die Ergebnisse sollen in ein Positionspapier münden. Zu den Vorschlägen, die im Gespräch sind, gehört unter anderem die Benennung einer Frist, in der ein Betreiber einen rechtswidrigen Kommentar entfernen muss. Zudem könnte den Betreibern ab einer bestimmten Größe zur Auflage gemacht werden, eine Beschwerdestelle einzurichten, die Löschungsbegehren zügig bearbeiten kann. In einem jähr­ lichen Bericht sollten die Betreiber darlegen, wie viele Einträge nach welchen Kriterien gelöscht wurden. Können sie keine Beschwerdestelle oder keinen Transparenzbericht vorweisen, sollte dies mit einem empfindlichen Bußgeld geahndet werden. Auch das besondere Unrecht, das Menschen erfahren, die im Netz beleidigt werden, soll sich im Strafrecht widerspiegeln. »Wir brauchen unbedingt höhere Strafen für Cyber­mobbing«, erklärt Winkelmeier-Becker.

»Einhaltung des Rechts sollte selbst­ verständlich sein.«

Kolumnentitel Die Bilder

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Angela Merkel hat sich entschieden: Sie will auch nach 16 Jahren Parteivorsitz CDUChefin bleiben und zum vierten Mal Kanzlerin werden. Ihre Kandidatur für beide Ämter kündigte sie Ende November in den Führungsgremien ihrer Partei an. Der Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Kauder, begrüßte Merkels Kandidatur mit den Worten: »Sie ist die Beste für unser Land«. Die CDU muss laut Merkel neue und konkrete Antworten auf die Sorgen der Bürger geben, etwa beim Thema Altersarmut. Mit einer Politik von Maß und Mitte will die Union Halt und Orientierung geben.

© Tobias Koch

Angela Merkel ist »die Beste für unser Land«

Der Deutsche Bundestag erstrahlt in der Weihnachtszeit: 20 Weihnachtsbäume stehen pünktlich zum ersten Advent in den verschiedenen Parlamentsbauten und erfreuen Abgeordnete wie Mitarbeiter mit Tannenduft und Lichterglanz. Das Bild zeigt den violett geschmückten Weihnachtsbaum im Jakob-Kaiser-Haus.

Europa ist besser als sein Ruf Der Geschäftsführende Vorstand der CDU/CSUBundestagsfraktion hat in Brüssel Mitglieder der EU-Kommission, des Europaparlaments und anderer Institutionen getroffen. Das Bild zeigt Unionsfraktionschef Volker Kauder im Gespräch mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Fazit der Gespräche: Auf Europa kommen schwierige Zeiten zu. In der Auseinandersetzung mit den Populisten in allen Ländern des Kontinents muss nach Auffassung der Unionsfraktion die Idee des geeinten Europas im Interesse der Bürgerinnen und Bürger verteidigt werden. Trotz aller Unzulänglichkeiten ist Europa aber besser als sein Ruf.

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© Ulrich Scharlack

© Steven Rösler

Alle Jahre wieder

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Die Fraktion

Ein Spiegel des Lebens Die Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales im Porträt

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© Steven Rösler

ahezu das ganze Leben spiegelt sich im Aufgabengebiet der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Fraktion wider. Die Geburt eines Kindes bringt für eine Mutter zum Beispiel durch Erziehungszeiten eine Veränderung ihrer Rentenansprüche mit sich. Das Thema Kinderrehabilitation spielt für die Menschen nicht selten eine Rolle wie auch die Frage, wie schwer erreichbare Jugendliche auf den Berufseinstieg vorbereitet werden können. Die AG beschäftigt sich mit den Rechtsbeziehungen im Arbeitsleben im Zusammenspiel mit den Sozialpartnern, mit dem Mindestlohn sowie dem Schutz von Arbeitnehmern im Erwerbsleben und nicht zuletzt mit allen Fragen der Alterssicherung. In der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales treffen wie in kaum einer anderen AG die verschiedenen Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie von Jung und Alt aufeinander und müssen zu einem Ausgleich gebracht werden: zum Beispiel im Generationenvertrag bei der Rente oder in der Frage, wie die Tarifautonomie funktionieren kann. Seit 2009 führt Karl Schiewerling aus Nottuln bei Coesfeld die AG. Das Hauptgewicht der Arbeit müssen die AG-Mitglieder in den Sitzungswochen des Bundestages stemmen. Dem Vorsitzenden der AG steht dafür ein Team von fünf Fraktionsmitarbeitern zur Seite. Die konkrete Vorbereitung jeder Sitzungswoche beginnt spätestens am Donnerstag der vorhergehenden Woche. Dann muss die Tagesordnung festgezurrt sein. Außerdem müssen Berichterstattergespräche und Termine vorbereitet sowie Kurzvermerke für den Parlamentarischen Geschäftsführer erstellt werden.

Hektischer Terminplan in der Sitzungswoche Am Montag in der Sitzungswoche finden meistens die Anhörungen des Ausschusses sowie Berichterstattungen im Fraktionsvorstand statt. Am Montagabend spielen die AGThemen oft in den Sitzungen der Landesgruppen eine Rolle. Der Dienstag beginnt für Karl Schiewerling frühmorgens mit dem Koalitionsfrühstück, bei dem die Bundesministerin ihre aktuellen Vorhaben erläutert und hierzu die Meinung der AG-Vorsitzenden einholt. Ab 9 Uhr tagt dann die Arbeitsgruppe. Dort werden aktuelle Vorhaben beraten, Beschlüsse gefasst sowie der Ausschuss und das Plenum vorbereitet. Mitunter werden auch externe Gäste geladen. Nach der Sitzung haben der Vorsitzende und seine Mitarbeiter ein Zeitfenster für Termine, Schreibtischarbeit und Rücksprachen. Um 12.45 Uhr beginnt die Besprechung des Fraktionsvorsitzenden mit den Arbeitsgruppenvorsitzenden, um 14 Uhr die Sitzung der Arbeitnehmergruppe und um 15 Uhr die Fraktionssitzung. Der Mittwoch beginnt meist mit der Obleute-Runde, in der die anschließende Sitzung des Bundestags-Ausschusses für Arbeit und Soziales vorbereitet wird. Obmann für die CDU/CSU ist Stephan Stracke (CSU). Das Gremium wird gelegentlich vom stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Matthias Zimmer (CDU) geleitet, der seit 2009 der Arbeitsgruppe angehört. Donnerstags und freitags finden die Debatten im Plenum statt. Dabei ist es für die AG natürlich von großer Bedeutung, dass die jeweils zuständigen Abgeordneten bei »ihren« Tagesordnungspunkten anwesend sind. Zwischendurch gibt es immer wieder Besprechungen, Termine, Telefonate und Rücksprachen. Am Freitagnachmittag endet die Sitzungswoche und die Abgeordneten fahren in ihre Wahlkreise zurück. Doch Feierabend haben sie noch lange nicht. Denn hier warten schon die nächsten Gespräche, Versammlungen und sonstigen Termine. So geht es weiter – bis zur nächsten Sitzungswoche wieder in Berlin.

Die Mitglieder der AG Arbeit und Soziales der CDU/CSUBundestagsfraktion

Die Kolumnentitel Antworten

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Knapp 600 Millionen Euro für deutsche Bauern Fragen und Antworten zum Hilfspaket für die Landwirtschaft Viele Bauernfamilien in Deutschland kämpfen aktuell um ihre Existenz. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die Bundesregierung helfen den Landwir­ ten in dieser außerordentlichen Krise. Gemeinsam mit der EU haben sie ein Millionen-Hilfspaket geschnürt. Warum geht es den Landwirten so schlecht? Die Landwirte in der EU leiden unter den Preiseinbrüchen für Milch, Fleisch, Obst und Getreide. Denn die Nachfrage aus dem Ausland – aus Ländern wie China oder Russland – ist eingebro­ chen. Auf dem heimischen Markt allein indes kann die große Menge an land­ wirtschaftlichen Produkten nicht abge­ setzt werden. Hinzu kommt, dass Erzeugerorganisationen und Genos­ senschaften nicht an einem Strang zie­ hen. Der Handel nutzt dies für eine extreme Preispolitik zu Lasten der Erzeuger. Wie hilft die Politik den Bauern und ihren Familien? EU-Kommission, Bundesregierung und CDU/CSU-Bundestagsfraktion springen den Bauern in dieser Krise bei. Sie haben ein Hilfspaket geschnürt, aus dem den deutschen Bauern bis Ende 2017 eine Gesamtsumme von 581 Mil­ lionen Euro zugutekommt.

Den Betrieben soll Liquidität verschafft werden. Schon 2015 standen Deutsch­ land dafür 70 Millionen EU-Gelder zur Verfügung. Die Mittel aus dem zweiten EU-Hilfspaket verdoppelt die Bundesre­ gierung sogar auf 116 Millionen Euro. Um zusätzlich Geld auf die Höfe zu bringen, hat sich die CDU/CSU-Bun­ destagsfraktion für weitere Zuschüsse bei der Unfallversicherung der Land­ wirte über 2016 hinaus eingesetzt. Mit Erfolg: Im Landwirtschaftsetat des Bun­ deshaushalts 2017 sind dafür erneut 178 Millionen Euro veranschlagt. Diese Ersparnis kommt bei den Betrieben unmittelbar an. Wie sollen die Preise stabilisiert werden? Von den 500 Millionen Euro an EUHilfsgeldern sind 150 Millionen an eine Mengenreduktion gebunden. Damit profitieren nur diejenigen Milcherzeu­ ger, die ihre Produktion drosseln. Kon­ kret heißt das: Die Bauern bekommen für jeden Liter Milch, den sie im Ver­ gleich zum letzten Quartal 2015 weni­ ger produzieren, 14 Cent Beihilfe. Auch die weiteren EU-Mittel, die Deutschland auf 116 Millionen Euro aufstockt, sind an eine Mengendisziplin gekoppelt. Dies soll dazu animieren, weniger Milch auf den Markt zu bringen und die Preise so zu stabilisieren.

Wie werden die Bauern weiter entlastet? Die Unionsfraktion hat sich für eine Tarifglättung eingesetzt, die Anfang Dezember beschlossen werden sollte. Das bedeutet, die Durchschnittsbesteu­ erung wird von zwei auf drei Kalender­ jahre ausgedehnt – und zwar rückwir­ kend ab 2014. Diese Entlastung werden die Landwirte schnell spüren. Sie gibt ihnen Planungssicherheit und hilft bei Kreditanfragen gegenüber Banken. Außerdem wird das von CDU und CSU geforderte Bürgschaftsprogramm ein­ gerichtet. Betriebe können bei der Landwirtschaftlichen Rentenbank ein Liquiditätshilfedarlehen von maximal 300.000 Euro je Betrieb beantragen. Der Bund übernimmt eine Ausfallbürg­ schaft von 50 Prozent. Die andere Hälfte übernehmen die Hausbanken. Das Hilfspaket für die Landwirtschaft ist ein wichtiges Signal für die Höfe in Deutschland. Insgesamt wächst der Landwirtschaftsetat des Bundes 2017 im Vergleich zu 2015 um 640 Millionen Euro auf rund sechs Milliarden Euro. Bundestagsdrucksache 18/10237

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Das Fest

aktion Die Red n frohe e n h I t h wünsc egnete s e g d n u und ein n e t h c a Weih­n r! eues Jah n s e t u g

Jenseits der Politik

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Weihnachten ist ein Fest der Besinn­ lichkeit. Wir lassen die Hektik des Alltags hinter uns, um uns auf das zu besinnen, was uns wichtig ist. Was könnte dabei mehr helfen als ein gutes Buch? Im Folgenden haben die Mit­ arbeiter der Redaktion eine kleine Auswahl an Büchern – Sach­büchern wie Romanen – zusammen­gestellt, die sie Ihnen als Weihnachtslektüre ans Herz legen. Die Bücher können Ihnen zu neuen Einsichten ver­helfen, zur Aus­ einandersetzung mit dem Leben beflügeln oder einfach nur ein paar vergnügliche Stunden bereiten.

Das Fest

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Rückbesinnung auf die Wurzeln

Im politischen Diskurs gewinnt die Diskussion um die Verteidigung westlicher Werte zunehmend an Bedeutung. Aber woher kommen diese Werte? Warum ist zum Beispiel die Würde des Menschen für westliche Demokratien unantastbar? Gibt es überhaupt universelle Werte in einer Welt, in der alles im Strom der Beliebigkeit verschwimmt? Der indische Philosoph, Sozialreformer und Christ Mangalwadi ist fasziniert von der Entstehungsgeschichte der westlichen Gesellschaft und fragt nach der treibenden Kraft dieses Erfolgs. In einer beeindruckenden Analyse, wie sie wohl nur mit dem Hintergrund eines anderen Kulturkreises möglich ist, weist er nach, dass alle Errungenschaften der Moderne wie Demo­ kratie, technischer Fortschritt, aber auch Bildung und Menschenrechte letztlich das Ergebnis einer christlichen Weltsicht sind und auf die Bibel als Herzstück zurückgehen. Nur in einer Gesellschaft, die an absolute Wahrheitserkenntnis glaubt, so seine Schlussfolgerung, hat das Denken echte Autorität und wird nicht bloß von willkürlichen, mitunter gefährlichen Modetrends bestimmt. Mangalwadi ermutigt den Westen, sich wieder stärker auf seine Wurzeln zu besinnen und die treibende Kraft seiner so erfolgreichen Entwicklung auch für die Gestaltung der Zukunft zu nutzen. Sven-Olaf Heckel

Vom Glück und der Trauer der Lebens Benedict Wells Vom Ende der Einsamkeit Zürich: Diogenes, 2016 Es gibt sie immer wieder: Romane, die man in einem Zug, fast berauscht durchliest. Es kommt dann für mich meist vieles zusammen: Das Thema empfinde ich als berührend, die Sprache und den Ton als angenehm, die Konstruktion und die Figuren als glaubwürdig. Ein solches Buch ist für mich »Vom Ende der Einsamkeit« von Benedict Wells. Es ist mein Buch des Jahres. Der 355 Seiten starke Band beschreibt das Schicksal von drei Geschwistern, die in früher Jugend ihre Eltern durch einen Unfall verlieren. Im Mittelpunkt steht Ich-Erzähler Jules. Belastet vom traumatischen Verlust von Mutter und Vater versucht er, seinen Platz im Leben zu finden. Die Liebe zu einer Mitschülerin spielt dabei eine große Rolle. Dieser Roman spiegelt – das zeichnet eine gute Erzählung aus – das Leben in seiner ganzen Bandbreite wider: Höhen und Tiefen, Glück und Trauer. Das Buch dokumentiert den Inbegriff des Lebens. Benedict Wells lässt Jules zurückgenommen, fast reduziert die Ereignisse schildern. Seine Sprache ist uneitel und präzise. Benedict Wells will kein Sprachakrobat sein und dient deshalb umso mehr der Sprache. Ich selbst bin immer etwas skeptisch, wenn man mir von Büchern so vorschwärmt, wie ich es hier versuche. Darum als kleine Absicherung meines Lobes dieser Hinweis: Ich habe das Buch sehr oft weiterempfohlen und immer haben die, die es gelesen haben, meine Ansicht geteilt, dass es sich um einen wirklich guten Roman handelt. © Diogenes

© Fontis

Vishal Mangalwadi Das Buch der Mitte: Wie wir wurden, was wir sind: Die Bibel als Herzstück der westlichen Kultur Basel: Fontis – Brunnen, 2014

Ulrich Scharlack

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Das Fest

Georg Cremer Armut in Deutschland. Wer ist arm? Was läuft schief? Wie können wir handeln? München: Beck, 2016

»Die Armen werden immer ärmer und die Reichen immer reicher.« Plattitüden wie diese sind häufig in Debatten über Armut in Deutschland zu hören. Der langjährige Generalsekretär der Caritas, Georg Cremer, hat jetzt ein Buch veröffentlicht, in dem er das Thema wohltuend sachlich behandelt. Detailgenau beleuchtet er Aspekte wie die Alterssicherung und den demografischen Wandel, die Entwicklung der Mittelschicht und natürlich auch Hartz IV. Plausibel stellt er dar, wie problematisch der Begriff der »Armutsgefährdung« ist, der 2001 von der EU-Kommission festgelegt wurde. Danach gilt jeder, der weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat, als »armutsgefährdet«. Selbst wenn jeder in Deutschland auf einen Schlag 1.000 Euro mehr im Monat erhielte, würde sich nach dieser Definition an der vermeintlichen »Armutsgefährdung« kaum etwas ändern. Cremer ist weit davon entfernt, Probleme zu verharmlosen. So nennt er als Hauptrisikogruppen Arbeitslose, Alleinerziehende und Menschen mit Migrationshintergrund. Eine Politik, die auf Bildung und ein intelligentes Anreizsystem setzt, ist nach seiner Überzeugung der beste Weg, um Armut dauerhaft zu bekämpfen. Cremers Buch ist eine anregende Lektüre, die auch dann Argumentationshilfen liefert, wenn man nicht mit jeder seiner Forderungen übereinstimmt.

© Beck

© sot/DigitalVision/Getty Images

Joachim Riecker

Alan Bennett Die souveräne Leserin Berlin: Wagenbach, 2008 Sie glauben, liebe Leser, der Brexit sei das Folgenreichste, was den Briten passieren kann? Weit gefehlt. Folgenreicher noch wäre eine Monarchin, die ihre Pflichten vernachlässigt, weil sie der Belletristik verfällt und die am Schluss… Nein, das möchte ich nicht vorwegnehmen. Der englische Schriftsteller und Drehbuchautor Alan Bennett malt in der Novelle »Die souveräne Leserin« (»The Uncommon Reader«) aus, wie es wäre, wenn Queen Elizabeth II. – per Zufall – die schöngeistige Literatur entdeckte und fortan jede freie Minute darauf verwendete, die Nase in ein Buch zu stecken. Dabei hält er minutiös fest, wie sich nicht nur das Verhalten der Queen und ihre Wahrnehmung ändern, sondern auch die Reaktionen ihres Umfelds darauf. Grandios ist nicht nur die Idee, die Bennett bis zu Ende spinnt, grandios ist auch der Stil und der Sprachwitz, die Spitzen und Spitzfindigkeiten. Eine perfekte Kostprobe englischen Humors und ein unvergleichliches Lesevergnügen unter dem Weihnachtsbaum. Claudia Kemmer

© dtv

Wohltuende Sachlichkeit

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Als die Queen die Literatur entdeckte

Ein grandioses Wildwest-Epos John Williams Butcherʼs Crossing München: dtv, 2015 Sehr oft sind die Anpreisungen auf den Rückseiten von Büchern übertrieben. Im Fall von John Williams »Butcher’s Crossing« sind sie aber zutreffend. Dort heißt es: »Eine Geschichte, die einem den Atem raubt, Bilder die sich tief eingraben, eine überwältigende Parabel über Hoffnung und Wahn, Leben und Tod«. »Butcher’s Crossing« ist ein Western. Man kann dieses Genre mögen oder auch nicht, aber die Beschreibung dieser Bison-Jagd ist einfach ein starkes Stück Literatur. Ein junger Mann von der Ostküste ist um 1870 auf der Suche nach einem Urerlebnis. Er sucht den Kampf mit der Natur und lässt eine kleine Gruppe von Männern zusammenstellen, die sich auf nach Westen machen. Ausgangspunkt ist der kleine Ort »Butcher‘s Crossing«. Williams entwickelt ein grandioses Epos. Er beschreibt die Landschaft, die Naturgewalten, das Leiden von Mensch und Tier plastisch. Man hört förmlich beim Lesen das Zerren der Ochsen am Leder ihres Geschirrs, wenn beschrieben wird, wie diese den schwer beladenen Karren den Berg heraufziehen. Die Gesichter der Männer stehen dem Leser vor Augen, wenn Williams sie am Lagerfeuer sitzend, erschöpft von der Jagd beschreibt. Das Buch ist auch ein Roman über eine Epochenwende. Die Truppe muss lange suchen, bis sie überhaupt noch Bisons findet, die einst die Prärie beherrscht haben. Williams findet am Schluss seines Romans eindringliche Bilder, um den Wechsel der Zeiten deutlich zu machen. Bestes Hollywood wird geboten, aber in Buchstaben! Ulrich Scharlack

Das Fest

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»Politik ist das Bohren dicker Bretter« Matthias Zimmer über die Geduld als Tugend und den Zweifel als Mittel der Erkenntnis

Herr Zimmer, welche Skurrili­ tät des politischen Alltags hat Sie am meisten verblüfft? Zimmer: Die Schirmherrschaft: Ein liebenswertes Relikt aus vordemokratischer Zeit, in dem durch die beschirmende Geste eines demokratisch gewählten Politikers eine Veranstaltung oder ein »event« geadelt wird. Das Skurrile ist dabei nicht nur die Tatsache als solche, sondern die Praxis: Eine Schirmperson muss weder etwas über die Veranstaltung wissen, die sie freundlich beschirmt, noch daran teilnehmen. Für welche Politiker-Marotten haben Sie Verständnis?

Zimmer: Das eigene Argument in Reden oder Interviews mit Zitaten zu veredeln, denn »Tiefe liegt nicht in dem, was man sagt, sondern im Niveau, von dem aus es gesagt wird« (Nicolás Gómez Dávila). Die parlamentarischen Mühlen mahlen langsam. Reißt Ihnen manchmal der Geduldsfaden? Zimmer: Ungeduld ist ja eine der entschuldbaren Schwächen, zu der sich ein Politiker immer bekennen kann, offenbart sie doch Tatkraft, Gestaltungswillen und den Mut zu zielgerichtetem und unmittelbarem Handeln. Andererseits gilt aber auch:

Politik ist das Bohren dicker Bretter und da kann Geduld schon eine Tugend sein. Tröstlich dabei ist, dass die sprichwörtlichen Mühlen Gottes noch langsamer mahlen als die parlamentarischen. Zweifeln Sie gelegentlich an Sinn und Funktions­ fähigkeit der parlamentarischen Demokratie? Zimmer: Ich halte es da mit Aristoteles: Wer recht erkennen will, muss zuvor in richtiger Weise gezweifelt haben. Sie schreiben in Ihrem Vor­ wort, Ihr Buch sei keine Wer­ beschrift für die CDU. Zehn Monate vor der Bundestags­ wahl 2017: Wird das Ihr nächs­ tes Projekt? Zimmer: An dieser Werbeschrift arbeite ich mit den Kolleginnen und Kollegen der Fraktion schon seit Beginn der Wahlperiode 2013. Es gilt nämlich: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Die beste Verpackung nützt nichts, wenn der Inhalt nicht taugt. Sie zitieren gerne Aristoteles mit dem Satz »Der tugendhaf­ te Mensch wählt die Mitte und entfernt sich von den beiden Extremen, dem Zuviel und dem Zuwenig.« Denken Sie da­ bei an Ihre Partei? Zimmer: An welche Partei sollte ich sonst denken bei der Erwähnung tugendhafter Menschen? © Laurence Chaperon

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er Abgeordnete Matthias Zimmer ist ein vielseitiger Mensch. Der promovierte und habilitierte Politikwissenschaftler, der seit 2009 für die CDU im Bundestag sitzt, spielt in seiner Freizeit Klavier und schreibt Bücher. Darin beschäftigt er sich unter anderem mit der Zukunft der Arbeit und mit Nachhaltigkeit als Grundprinzip einer Politik aus christlicher Verantwortung. In seinem jüngsten Werk »Am Rande der Politik« trägt er Beobachtungen aus dem parlamentarischen Alltag zusammen und nimmt sie – augenzwinkernd – zum Anlass, über Veränderungen in der Gesellschaft nachzudenken.

Was würden Sie Abgeordneten mit auf den Weg geben, die 2017 erstmals in den Bundestag einziehen? Zimmer: Das Staunen nicht verlernen, Verständnis für menschliche Schwächen haben und dem Gebrauch des eigenen Verstandes vertrauen. Vor allem aber: Gute Mitarbeiter/innen anheuern, die mitdenken, offen und kritisch sind und das Weihrauchfässchen sparsam verwenden.

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Die Zahlen

Das Interesse der Menschen an Bildung ist unge­ brochen. Das zeigt der Bildungsbericht 2016, der Mitte November im Bundestag debattiert wurde. Danach erhöhten sich die Ausgaben für Bildung, Forschung und Wissenschaft im Jahr 2014 um Milliarden Euro – Milliarden auf Prozent des Bruttoinlandsproduktes was entspricht. Die Ausgaben je Schüler stiegen von Euro (2005) auf Euro (2013). Ins­besondere die Bildungssituation von jungen Menschen mit Migrationshintergrund hat sich verbessert. Im Vergleich zu 2009 gehen Jahren mit Mig­ doppelt so viele Kinder unter Pro­ rationshintergrund in Kitas, nämlich zent. In den Kindergarten gehen sogar Prozent der Kinder aus Einwandererfamilien. Prozent der - bis 2013 studierten -Jährigen mit Migrationshintergrund, 2015 Prozent. waren es

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Der Gast

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500 Jahre Reformation – Anlass zum Feiern und Gedenken Von Martin Dutzmann, dem Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union

Der von Gott befreite Mensch übernimmt Verantwortung In Luthers Freiheitsschrift folgt auf die Proklamation der Freiheit eines Christenmenschen eine weitere, ähnlich klingende Feststellung: »Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.« Der von Gott befreite Mensch übernimmt Verantwortung – in Familie und Kirche, Gesellschaft und Staat. Hier deuten sich die gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen der Reformation an. Als ein Beispiel von vielen sei die Wirkung der Reformation im Bereich von Sprache und Bildung genannt: Da der Mensch von den Reformatoren unmittelbar zu Gott gedacht ist, kann er sich nicht auf die religiöse Bildung anderer verlassen, sondern muss selbst entsprechend gebildet sein. Deshalb wurde die Bibel in die Volkssprache übersetzt, auch der Predigt kam eine neue Bedeutung zu. Beides

führte in vielen Ländern dazu, dass eine Schriftsprache entstand, Dichtung und Literatur erhielten Auftrieb. In protestantischen Regionen wurde die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Bildung wurde zur politischen Aufgabe, die der Staat zu erfüllen hat. Heute ist dies in allen modernen Verfassungen verankert. Nicht verschwiegen werden darf, dass die Reformation auch äußerst problematische Auswirkungen auf das gesellschaftliche Miteinander hatte. Hier sei insbesondere an Luthers Schrift »Von den Juden und ihren Lügen« aus dem Jahr 1543 erinnert. Die aggressiven antijudaistischen Äußerungen des Reformators lieferten bis in das 20. Jahrhundert hinein dem Antijudaismus und dem Antisemitismus eine theologische Legitimation. Nicht erst der Mord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden während der nationalsozialistischen Diktatur verpflichtet uns, die dunklen Seiten der Reformation nicht auszublenden. Dennoch! Die religiösen Grundentscheidungen der Reformation bleiben wichtig und deren politische und gesellschaftliche Auswirkungen bis heute spürbar. Das ist Grund, der Reformation zu gedenken und die Reformation zu feiern. Alle Bundesländer haben der Bitte der EKD, den 31. Oktober im Jahr 2017 einmalig zum gesetzlichen Feiertag zu erklären, entsprochen. Allerdings kann es an diesem Tag und im übrigen Impressum Jubiläumsjahr nicht um Herausgeber ein Erinnern um des ErinMichael Grosse-Brömer MdB nerns willen gehen. Es ist Max Straubinger MdB CDU/CSU-Bundestagsfraktion vielmehr zu fragen, welche Platz der Republik 1 kirchlichen, gesellschaftli11011 Berlin chen und politischen ImV.i.S.d.P.: Ulrich Scharlack pulse die Reformation in Redaktion: Claudia Kemmer einer Zeit zu geben vermag, (verantw.) die von einem ähnlich tiefT 030. 227-5 30 15 greifenden Wandel geprägt F 030. 227-5 66 60 [email protected] zu sein scheint, wie ihn die Menschen vor 500 Jahren Diese Veröffentlichung der erlebten. © Andreas Schoelzel

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en jungen Augustinermönch Martin Luther quälte am Beginn des 16. Jahrhunderts die Frage: »Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?« Die Antwort fand er nach langem und intensivem Studium in der Heiligen Schrift: Gott ist dem Menschen längst gnädig. Er sieht ihn mit liebenden Augen an, und dabei spielt keine Rolle, ob dieser Mensch im Kloster lebt oder ein weltliches Leben führt, leistungsfähig ist oder schwach, erfolgreich oder gescheitert, arm oder reich, jung oder alt. Der so angesehene Mensch muss nichts tun als sich Gottes liebenden Blick gefallen zu lassen. Diese Entdeckung, der Kern der Reformation, hatte erhebliche Konsequenzen. Folgen hatte Luthers Entdeckung zunächst für den einzelnen Menschen. Luther schreibt davon 1520 in seiner Schrift »Von der Freiheit eines Christenmenschen«: »Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan.« Diese Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Sie rief weitere Prediger auf den Plan, die sie weiterdachten und weitererzählten, und stärkte Kräfte, die eine Reform von Kirche und Gesellschaft wünschten.

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Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – Dezember 2016/Januar 2017

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Das Zitat

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»Der Ausgang der US-Wahl ist auch ein Weckruf an Europa, besonders in der Außen- und Sicher­ heitspolitik effektiver zu werden.«

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Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, zum Sieg von Donald Trump bei der Präsident­ schaftswahl in den USA

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