Bernardo Pasquini. (Rom, 1677) Unsere Subventionsgeber: Unsere Partner: Inhalt

November 18, 2018 | Author: Simon Hummel | Category: N/A
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Bernardo Pasquini

Sant’Agnese (Rom, 1677)

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Inhalt Programmübersicht Die Heilige Agnes von Rom und Pasquinis Oratorium Interview mit Alessandro De Marchi Einführung von Vincent Boussard Bernardo Pasquinis Oratorium Sant’Agnese (1677) Biografien Inhaltsangabe/Synopsis Libretto

4 9 13 18 22 37 48 51

Sant’Agnese ƒ Programmübersicht

„Sant’Agnese“ (1677) Tiroler Landestheater 23./24. August 2008, jeweils 20 Uhr

Sant’Agnese ƒ Programmübersicht

Alessandro De Marchi Vincent Boussard Vincent Lemaire Stéphanie Zani Johann Kleinheinz

Musikalische Leitung Regie Bühnenbild Kostümbild Licht

Emmanuelle de Negri Karin Roman Martin Oro Kobie van Rensburg Antonio Abete

Sant’Agnese Madre di Sant’Agnese Flavio Aspasio Prefetto

Einführungsgespräch jeweils um 19 Uhr, Pausenfoyer „Il martirio di Sant’Agnese“ Oratorium in zwei Teilen von Bernardo Pasquini | 1637-1710 Libretto von Kardinal Benedetto Pamphili in italienischer Sprache (mit deutschen Übertiteln) Dauer: bis ca. 22.00 Uhr, eine Pause nach dem ersten Akt Academia Montis Regalis

Die Premiere wird vom ORF aufgezeichnet und live auf Ö1 ausgestrahlt. Die Aufzeichnung wird vom ORF Wien auf CD veröffentlicht.



Alessandro Tampieri, Ayako Matsunaga, Ljiljana Mijatovic

Erste Violine

Raul Orellana, Rossella Borsoni, Daniela Godio

Zweite Violine

Luigi Mocciam, Paola Nervi, Heilke Wulff, Lorena Nunez

Viola

Marco Ceccato, Alessandro Palmeri

Violoncello

Roberto Bevilacqua

Kontrabass

Francesco Romano, Eduardo Eguez

Theorbe

Sabina Colonna Preti

Viola da gamba

Chiara Granata

Harfe

Alessandro De Marchi, Anna Fontana

Cembalo



Sant’Agnese ƒ Programmübersicht

Sant’Agnese ƒ Programmübersicht

Christoph von Bernuth Mariangiola Martello Sibylle Polster Cameron Arens Aline Breucker Ellen Piendl Serena Malcangi Cameron Arens

Produktionsleitung Musikalische Assistenz Regieassistenz und Abendspielleitung Produktionsassistenz Bühnenbildassistenz Inspizienz Sprachcoaching Übertitel

Herbert Kuen Gerhard Spöttl, Wolfgang Elsenhans Philipp Haller, Andreas Achammer, Arnold Westreicher, Walter Ronacher, Karl-Heinz Zankl, Andreas Kössler, Bernhard Steiner, Peter Lepp, Benno Morawek, Thomas Niedermair, Mario Quitadamo, Martin Gross, Harald Mairhofer, Michael Baumgartner

Technischer Direktor Bühnenmeister Bühnentechnik

Philipp Baumgartner Johannes Grimm, Simon Stenzel, Bernhard Salcher, Florian Weisleitner, Reinhard Jäkel, Christoph Klein, Michael Reinisch, Franz Fedrizzi, Armin Praster, Herbert Schrettl

Requisite Beleuchtung

Andreas Lamprecht

Tontechnik

Dieter Lena Angelika Habicher

Chefmaskenbildner Maskenbildner

Anneliese Aschbacher Renate Lindner Sonja Bischur

Leitung Ankleide Ankleide Kopfschmuckanfertigung

Alois Schlatter Julia Aufhammer, Judith Dierigl,

Leitung Einlassdienst Einlassdienst



Waltraud Hanel, Brigitte Hassl, Jürgen Mayer, Thomas Mladek, Manuela Niklas, Sonja Noggler, Clemens Schachenhofer, Anna Sporrer, Juditha Waibl, Tamara Stocker-Niklas

Die Kostüme wurden im Atelier Ananda durch Michelle Ann Bächtold angefertigt, das Bühnenbild in den Werkstätten der Firma Varius, Berlin.



Sant’Agnese ƒ Einführung

Komm, Christi, nimm die Krone WunderBraut gibt es immer wieder

Die Heilige Agnes vonKraft Romdes undAußergewöhnlichen oder: Die befreiende Bernardo Pasquinis Oratorium

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von Carsten Hinrichs von Carsten Hinrichs Ein Wunder, das ist streng genommen ein außergewöhnlicher Vorfall, das Zwei Lämmer von segnet derund Papst jedes Jahr zum 21. Januar, den Gesetzen Raum Zeit,traditionell oder auch nur dem Menschenverstand dem Sankt-Agnes-Tag, einer Kapelle Roms. Mit derund Wolle dieser (scheinbar) zuwider läuft.in Die starre Ordnung zerbricht, Herz und beiden Lämmer wird von den in dass Klausur Sinn werden geschärft durch einstreng Ereignis, die lebenden Menschen Nonnen aufhorvon Santa Cecilia Trastevere Pallium gewoben, weiße chen lässt. Das Wortin„Wunder“, vondas althd. „wuntar“, stammt der vermutlich Schulterschal, der mit fünfWurzel schwarzen Kreuzen bestickt amsprachlich 29. Juni von der indogermanischen *uen ( „Verlangen“), und ist den im Vorjahr ernanntenDas Erzbischöfen wird. Das Tragen des verwandt mit „Wunsch“. Wunder istüberreicht also ein erwünschtes Zeichen, Schals über der Schulter anBestätigung den Hirten, für derlange das verirrte Lamm eine Erlösung aus der Noterinnert und eine Erhofftes. zurückbringt – ein Symbol für die Heimkehr der auf Erden irrenden Seele zu Christus. UndAntike nicht das umsonst werden die Lämmer am Tag dermenschHeiligen Während in der Wunder vor allem außergewöhnliche AgnesLeistungen geweiht, deren Name(etwa schon„Die an Sieben sich an Weltwunder“), das römische ist Wort liche bezeichnet es für im LammTestament = agnus und an Duldsamkeit und Opferbereitschaft denAlten einedamit Domäne Gottes und seiner Propheten. Göttliches ken lässt. rückt Die Lebensgeschichte dieser römischen Heiligen liegt der Eingreifen die aus den Fugen geratene Ordnung der Menschen zweitenins Produktion, die Innsbrucker Festwochen auf derSituationen Bühne des wieder rechte Lot.die Wunder können auch in ausweglosen Landstheaters zugrunde. Prinz Bel-šarra-usur (Belsazar), der Trost spenden.zeigen, Der babylonische die Israeliten nach der Zerstörung Jerusalems ins Exil Bernardo Pasquinis Il martirio Sant’Agnese verschleppt hat, erniedrigt das di gefangene Volk von um 1677 v.kann inhaltlich als einendes recht unge540 Chr. man durch den Gebrauch jüdischen schminkten Tatsachenbericht einer staatlichen Tempelgeräts bei einem orgiastischen Mahl – Gewalthandlung Geschichte Symbol ihrer undbezeichnen. ihres GottesDie Machtlosigkeit. dieseseine Oratoriums spielt im aus antiken zur und Zeit Doch Hand erscheint den Rom Wolken der Christenverfolgungen. SieWand, führt das ein nur junges schreibt ein Menetekel an die der Mädchen Prophet von zwölfDaniel Jahrenzuvor, das sich nicht mit jüdische deuten versteht. So Flavius, Sohn Jude des mächtigen Stadtpräfekten wird der dem verhöhnte zum Verkünder des göttvermählen will, da es die davon überzeugt ist, bereits lichen Todesurteils, Perser überrennen das Christus versprochen zu sein. muss sich dünkelhafte Babylon und tötenMan Belsazar. Ein das so vorstellen, als ob eineder Bürgerstochter Wunder, dass die Schmach Demütigung die Hand des schönen durch Rache bereinigt.Prinzen ausschlägt – ganz davon abgesehen, dass eine Frau sein, und noch dazu eine Eine zu andere Bedeutung haben junge, im Rom Antike sicher die Wunder derder frühchristlichen Attraktivität bedeutete, keinesZeit, wie sie in lateinischen falls jedoch EntscheidungsHeiligenlegenden überliefert gewalt. Die liegt hier die normasind. Wunderzeichen, sich lerweise in und den im Händen des im Handeln Martyrium Stadtkommandanten, der sind eine der Heiligen offenbaren, solche Weigerung gegenüber gesellschaftlichen Konventionen 

Sant’Agnese ƒ Einführung

keinesfalls dulden kann, zumal sein eigen Fleisch und Blut darunter leidet. Auch Agnes’ Mutter kann sie nicht schützen. Im Sinne gegenläufiger Bestrafung soll dem Mädchen das Gefasel von Unberührbarkeit ausgetrieben werden, indem sie der Schändung in einem Bordell preisgegeben wird. Auch Flavius findet sich ein, unter dem Deckmantel des Richterspruches auf seine Chance hoffend. Doch es kommt anders. Ein inneres Feuer verzehrt den verliebten jungen Mann, sobald er Agnes berühren möchte. Der Stadtpräfekt ist vor Schmerz über den Verlust seines Sohnes außer sich, doch holt ein Gebet des Mädchens den bereits Toten ins Leben zurück – geläutert und fortan an Agnes’ Worte und den christlichen Gott glaubend. Doch hier verfällt der Präfekt den Einflüsterungen seines bösen Ratgebers Aspasius, der einen Volksaufstand befürchtet und die Wiedererweckung und Bekehrung des Sohnes nur dem Werk einer Hexe zutraut. Und die Schmach, trotz aller weltlichen Macht nicht seinen Willen durchsetzen zu können, besiegt im Präfekten sogar die Fürsorge für Flavius – ein neuerliches Urteil überantwortet Agnes den Flammen, um auch gleich den verzweifelten Sohn von seinen christlichen Spinnereien zu heilen. Doch auch diesmal wird Agnes gerettet: Die Flammen weichen vor ihr zurück und versengen ihren Körper nicht. Zuviel für Aspasius, der daraufhin selbst zum Schwert greift und das Mädchen tötet. Doch Agnes, betrauert von Mutter und Flavius, ist sich in ihrer Standfestigkeit der Ewigkeit sicher. In Anlehnung an diese Heilige werden noch heute die Nonnen nach dem Noviziat zur Weihe gerufen mit den Worten Veni Sponsa Christi, accipe coronam – Komm, Braut Christi, nimm an die Krone, die der Herr dir bereitet hat für die Ewigkeit. Gemeint ist das Brautkrönchen, Zeichen für die Hochzeit mit Christus. Die Geschichte der Heiligen Agnes: Ein religiöser Stoff, wie gemacht für das Oratorium, das eigentlich ein geistiges Kind der Gegenreformation ist. Das Bemühen um Rückkehr zur Textverständlichkeit und Einfachheit in der Kirchenmusik, wie es das Konzil von Trient 1545 formuliert, wendet sich von allem rein Sinnlichen im Gottesdienst ab und verbietet den „eitlen Ohrenschmaus“. Doch umso glühender die Protestanten auf dem Fundament ihrer Choräle voranschreiten, wächst auch in Rom der Hunger nach klangsinnlicher Musik als Medium des Glaubens. Als Reaktion auf die virulent um sich greifende Reformation richtet die Kongregation des Heiligen Filippo Neri in den Gebetsräumen (dem oratorium) des Ordens außerhalb der Messen Andachten auf Italienisch ein, die nicht nur bald von Besuchern gestürmt wurden, sondern auch der Musik einen breiteren Raum gaben als die lateinischen Messen.

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Sant’Agnese ƒ Einführung

Aus den hier mit verteilten Rollen gesungenen biblischen Historien entwickelt sich das Oratorium – eine Art geistliche Oper, deren Stoff die Inszenierung zwar verbot, deren Musik aber im Lauf des Barock die fehlende Szene mehr als ersetzte. Man denke nur an die großen, klangfarbensatten Werke Vivaldis oder Händels. Nachdem in Rom der Papst infolge eines Erdbebens die Opernhäuser schließen lässt, verlagert sich das Verlangen der Kirchenfürsten nach Musik und Stimmvirtuosität auf die Oratorien der Andachtsräume und Abendkonzerte. Bernardo Pasquini, ein umjubelter Virtuose auf den Tasteninstrumenten und Komponist von Sant’Agnese, ist sowohl Organist der Erzbruderschaft del Santissimo Crocifisso, die beständig Oratorien in Auftrag geben, sondern auch Teil des gigantischen Kunstapparats der Aristokratie. Reiche Mäzene wie Christina von Schweden (für deren Station auf der Reise zu ihrer Wahlheimat Rom in Innsbruck das erste freistehende Opernhaus nördlich der Alpen ent-

Andrea Pozzo: Bernardo Pasquini

stand), Marchese Ruspoli oder die Kardinäle Pietro Ottoboni und Benedetto Pamphili finanzieren eine Hochblüte von Kunst, Architektur und eben auch Musik in ihrem Umfeld. Kardinal Pamphili verfasst eigenhändig das Libretto zum Oratorium über die unschuldige Braut Christi. In der Accademia dell’Arcadia lernt Pasquini Alessandro Scarlatti und Arcangelo Corelli kennen und trifft zuletzt noch auf den blutjungen Georg Friedrich Händel. Ein unvorstellbarer kultureller Schmelztiegel, in dem alle Künste miteinander wachsen, und alle Künstler voneinander profitieren können. Ein wahrer Frühling für die barocke Musik, und auch die Hochblüte der Kunstform Oratorium trägt den Ruf der Heiligen Stadt am Tiber und ihrer Komponistenzirkel durch ganz Europa. f

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Sant’Agnese ƒ Interview mit Alessandro De Marchi

Die zarte Farbe der Dissonanz Alessandro De Marchi zu Bernarndo Pasquini und dem römischen Oratorium von Carsten Hinrichs

Kultur fördern.

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Eine interessante Erkenntnis vorweg: Beim Musikmachen wird nicht erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der Ära des Rock’n’Roll, mit den Augen gerollt. Emotional exzessives und auf Darstellung ausgerichtetes Musizieren spielte schon im Rom des 17. Jahrhunderts eine große Rolle, davon berichtet Alessandro De Marchi, der Dirigent der Produktion Sant’Agnese. Die Lust der barocken Kirchenfürsten an barockem Pathos erreichte so auch die virtuose Ausführung der Noten, für die in Rom ganz eigene Regeln galten. De Marchi hat sich intensiv mit zeitgenössischen Berichten befasst. „Mein Ziel ist es, das typisch römische Musizieren jener Zeit lebendig werden zu lassen. Dazu teile ich zum Beispiel in den Ritornellen und Präludien das Streichorchester in Soli und Tutti. Auch wissen wir von Muffat, der seine Ausbildung ja im sehr gemäßigt musizierenden Frankreich hatte, dass in Rom alles extrem genommen wurde, die Tempi und die Dynamik, ja dass sogar der Ausdruck, den die Musiker beim Spielen machten, sehr exaltiert war. Es gibt Berichte von Soloviolinisten, die beim Spiel den Oberkörper kreisen ließen und wild mit den Augen rollten!“

www.rlb-tirol.at Vignette des Auftrittsmonolog des Flavio, handschriftliche Partitur, Wien 13

Sant’Agnese ƒ Interview mit Alessandro De Marchi

De Marchi, der zuletzt viele Ausflüge in die Musik der Klassik unternahm – unter anderem dirigierte er in Innsbruck 2006 Mozarts Il Re pastore – freut sich sehr auf die neue Zusammenarbeit mit Vincent Boussard, da er dessen Regiequalität und Kreativität schätzt. Vor allem aber ist für ihn wichtig, dass der Franzose sehr gut Italienisch spricht und im Gegensatz zu vielen andern Regisseuren stets das Libretto respektiert. Wochen des Textstudiums gingen seinem Ansatz voraus. Dass De Marchi 2008 gemeinsam mit Boussard „seine“ alte Liebe, das römische Oratorium erkunden kann, freut ihn umso mehr. Das Oratorium war zur Zeit Pasquinis noch eine verhältnismäßig junge Form. Erst hundert Jahre zuvor entstanden in der musikalischen Ausgestaltung privater Andachten die ersten Vertonungen geistlicher Erbauungstexte und Bibelhistorien. Der zunächst immer anwesende „Historicus“, eine Art Erzähler, der die nicht zu sehende Szenerie und das Geschehen beschrieb, war bis Ende des 17. Jahrhunderts verschwunden, wodurch die Libretti immer mehr den Textbüchern von Opern ähnelten. De Marchi, der studierte Cembalist und Fachmann für das Generalbassspiel, das er sogar an der berühmten Hochschule in Basel unterrichtete, kam seinerzeit bei den barocken Oratorien des frühen Händels und Alessandro Scarlattis auf den Geschmack. „Sant’Agnese ist kaum von einer Oper zu unterscheiden. Die Handlung ist zwar geistlich, aber wir haben eine sehr schöne Liebesgeschichte mit einem feindlich gesonnenen Bösewicht. Eine Konstellation, die ganz der Oper entspricht: Tenor will Sopran, Bass weiß das zu verhindern.“ Wie muss man sich nun den Stil des römischen Oratoriums vorstellen? De Marchi hat die passenden Vergleiche schon zur Hand: „Die römische Musik dieser Zeit basiert auf dem vokalen Modell. Während man in Neapel dem Affekt huldigte und in Florenz der Melodie, stand in Rom der Kontrapunkt im Mittelpunkt des Interesses. Zu Pasquinis Zeit sind Oper und Oratorium noch keine so festgeschriebenen Gattungen. Wir finden noch Elemente des Monteverdischen Stils darin, außerdem folgt die Komposition frei dem Text und erschöpft sich noch nicht in der Aneinanderreihung von Rezitativ und Arie. Das macht die Musik in meinen Augen sehr beweglich und interessant.“ Die Vorfreude ist ihm dabei anzumerken. Ein bisschen greift aber auch er in die aufführungspraktische Trickkiste, um das Werk für die Bühne in Schuss zu bringen. „Ich habe mir erlaubt, das Orchester dem Opernhaus anzupassen und ein wenig zu vergrößern“, gesteht De Marchi. „Die Partitur mit ihren fünf Streicherstimmen und Basso continuo habe ich nach den Angaben Georg Muffats ausgearbeitet, die er seinen Concerti grossi vorange14

Sant’Agnese ƒ Interview mit Alessandro De Marchi

stellt hat. Darin wird genau beschrieben, wie der Satz ausgeweitet werden kann. Ich bleibe bei aller Bearbeitung also im historischen Rahmen. Ein anderer Fall ist die einleitende Sinfonia, die sich leider nicht erhalten hat. Ich nehme stattdessen die Sinfonia zu Pasquinis Oper Tirinto von 1672, die im Stil und der Besetzung dazu passt.“ Über die letztendlichen Aufführungen von Sant’Agnese ist nichts bekannt. Es gibt sogar die Theorie, dass das Werk zuerst in Österreich gespielt wurde. De Marchi selbst war überrascht, als er davon las: „Angela Romagnoli hat eine Arbeit zum Oratorium verfasst, wo sie anhand von Hinweisen die These aufstellt, dass das Werk nicht im Kompositionsjahr 1677, sondern erst in der Fastenzeit 1678 das Licht der Welt erblickte. Und dies ausgerechnet am Wiener Kaiserhof. Weitere Aufführungen lassen sich dann nachweisen für den Hof Eleonore Gonzagas, dann sehen wir Sant’Agnese noch mal 1679 in Ferrara und 1685 in Modena. Von dieser letzten Aufführung gibt es ein Manuskript von unbekannter Hand, aus dem wir das Aufführungsmaterial zusammengestellt haben. Es gibt von dem Werk auch keine moderne Ausgabe, wir musizieren sozusagen indirekt aus Originalmaterial, dass für uns aufbereitet worden ist.“ Und wie steht es letztendlich mit der Klangsinnlichkeit, sobald die Musiker mit dem Blick ins Material ihre Instrumente ansetzen? Gewann in der Kirchenmusik die strenge Frömmigkeit die Oberhand? Ganz im Gegenteil: „Die Prachtentfaltung der römischen Kirchenfürsten ist legendär. Wir wissen, dass Kardinäle wie Pietro Ottoboni oder Benedetto Pamphili so unermesslich reich waren, dass Geld für sie im täglichen Leben eigentlich keine Rolle spielte. Zum Glück waren sie zugleich sehr an Kunst und Musik interessiert! Ottoboni besaß ein Orchester von über hundert Mann für den alltäglichen Einsatz, das für hohe Festtage sogar noch mit eingekauften anderen Kapellen verstärkt wurde“, so De Marchi weiter. Die Phantasie muss also fast zwangsläufig hinter der Realität zurückbleiben. Noch dazu waren in den Musikerzirkeln der Höfe die besten Komponisten ihrer Zeit beschäftigt, eine heute schier unglaubliche Konzentration von Talenten. Man weiß von Konzerten, in denen Arcangelo Corelli, Bernardo Pasquini und Alessandro Scarlatti zumindest theoretisch zusammengespielt haben könnten. Nach dem Tod Christinas von Schweden gründeten die Aristokraten und Komponistenvirtuosen die Accademia dell’Arcadia, der später auch Georg Friedrich Händel bei seiner Romreise beitrat. Eine Art musikalischer Interessentenkreis und zugleich eine Talentschmiede für junge Köpfe, Beziehungen zum Hochadel inklusive.

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Sant’Agnese ƒ Interview mit Alessandro De Marchi

Ein weiterer wichtiger Punkt für die sowohl irdische wie auch Kirchenmetropole Rom: Weder für Musiker am Hof, noch im klerikalen Umfeld gab es die heutige Wertetrennung zwischen weltlicher Unterhaltungsmusik und geistlichen Kompositionen. Natürlich herrschten unterschiedliche Stilanforderungen, aber für Bernardo Pasquini, der sowohl als Organist bei frommen Bruderschaften als auch als Hofcembalist in hohem Ansehen stand, waren Kompositionsaufträge aus beiden Musiksphären gleichwertig.

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„Der Hauptunterschied lässt sich am besten mit dem Satz zum Ausdruck bringen: ‚Oper komponiert man für Geld, Oratorien für den Himmel’,“ fasst Alessandro De Marchi zusammen. „Es ist auffällig, dass die Komponisten bei religiöser Musik immer ein wenig mehr Sorgfalt auf die Komposition verwenden, als bei Opern. Ein weiterer Grund dafür mag auch sein, dass Oratorien nicht wie Opern auswendig gesungen wurden, das heißt, die Sänger konnten auch komplexere Partien mithilfe der Noten ausführen. Das kontrapunktische Element als typisch kirchenmusikalische Note ist in den Oratorien allgegenwärtig, aber die Spezialität Pasquinis ist, dass er den Kontrapunkt unter einer so kantablen Oberfläche einzubinden versteht, dass er nie als gesucht oder störend kunstvoll empfunden wird. Der Kontrapunkt ist voll in die Satzart integriert.“

Innsbrucker Festwochen der Alten Musik

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Grundlage für den typisch römischen Stil ist neben dem exponierten Spiel auch die Improvisation. „Die Rahmenbedingungen für die Improvisation im Orchesterspiel haben wir uns sehr genau angeschaut. Da spielen Dissonanzen und das Auskosten der Reibungen eine große Rolle, besonders bei Pasquini. Schüler berichten von seinem außergewöhnlichen Cembalostil und es heißt, der Maestro habe sich Tasten für eigens zu stimmende Zwischentöne einbauen lassen, mit deren harmonischen Reiz er seine Arpeggien anreicherte. Das lässt sich vereinfacht betrachtet mit den so genannten blue notes im Jazz vergleichen – harmoniefremde Töne, die durch ihre Farbe den Akkord eindunkeln oder schärfen. Beim Musizieren streute Pasquini diese Noten als Verzierungen, wie acciaccature und mordenti, in das den Akkord auffächernde Arpeggiospiel ein, ähnlich der Wirkung, mit der beim Malen die Leuchtkraft einer Farbfläche durch einen zuvor hinein gemischten Tupfer einer Kontrastfarbe anreichert und brillanter macht. Diese Verzierungen waren nicht ‚erlaubt’, so dass Pasquini sie nie aufgeschrieben hat. Aber aus dem Klavierstil von seinem Enkelschüler Domenico Scarlatti kennen wir die Dissonanzen nur zu gut, von dort aus haben sie die Klaviermusik der nächsten Jahrhunderte beeinflusst.“ f 17

Sant’Agnese ƒ Einführung von Vincent Boussard

Einführung von Vincent Boussard

» er band mich an sich

mit dem Ring, den er meiner rechten Hand ansteckte, er umlegte meinen Hals mit kostbaren Steinen, kleidete mich in einen Mantel aus goldgewirktem Stoff, er schmückte mich mit zahllosem Geschmeide: er hinterließ einen Abdruck auf meinem Gesicht, auf dass ich keinen anderen Geliebten als ihn mehr wählen könne; und das Blut seiner Wangen hat sich den meinen aufgeprägt. Seine keuschen Umarmungen haben mich bereits überwältigt, sein Körper hat sich schon mit dem meinen vereinigt; er zeigte mir unvergleichliche Schätze, die er mir zu geben versprach, wenn ich ihm für immer die Treue halte.« „Agnes beatae virginis“, aus: „De virginibus“ des Ambrosius von Mailand, Jan. 375 oder 376 n. Chr.

Dies sind die Worte, mit denen Agnes, das junge Mädchen (laut ihrem ersten Biographen im IV. Jahrhundert nach Christus) jenen beschreibt, der bei ihr einen Platz eingenommen hat, den sie niemandem anderen mehr zugestehen kann. Es ist der Bericht einer intimen Begegnung mit einem erträumten Mann. Eine traumhafte jugendliche Episode von ersten erotischen Erfahrungen, in der sie ihr Begehren für alle Zeit an ein Gesicht kettet. Sie bezeichnet Gott als den idealen „Geliebten“, dessen Auftreten allmächtig erscheint. In ihrer Faszination schöpft sie aus den Spuren dieser „keuschen Umarmungen“ die Kraft und die Freude, die ihr mit ihrem letzten Atemzug die folgenden Zeilen eingeben: „das Herz

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Sant’Agnese ƒ Einführung von Vincent Boussard

weicht den süßen Schmerzen um wiedergeboren zu werden jenem Guten, das ich in Ewigkeit anbeten werde“. Das Gesicht Gottes – „sein Körper…“ – scheinen schon den Geruch und den eindringlichen Geschmack eines Geliebten angenommen zu haben, der auf Agnes’ Wangen das Blut seiner eigenen Wangen hinterlässt; Wangen, die, voller Gold und Edelsteinen, das junge Mädchen blenden und in ihr das glühende Begehren und das Verlangen nach einer ewigen Besitzergreifung entfachen. Die Sprache von Agnes, ganz zu Ehren des Schöpfers, nimmt in ihrem Ausdruck Anleihen an der römischen Poetik des XVII. Jahrhunderts und verherrlicht das religiöse „Dogma“ durch Aussagen von geradezu biblischer Wucht (das Gedicht ist ein Werk von Benedetto Pamphili, einem einflussreichen Kardinal, der mit Händel auch für Trionfo del Tempo e del Disinganno zusammenarbeitete). Jedoch öffnet sich dieser Text, der weit davon entfernt ist, nur eine strenge Predigt in forma di concerto zu sein, den Zuständen und Affekten, in die die Musik sich hineinziehen lässt und erfüllt die Charaktere mit echter Menschlichkeit. Eines von mehreren Beispielen wäre das Klagen des Präfekten angesichts des öffentlichen Todes seines Sohnes (II, 8). Sein Ausdruck ist stumpf, wie trunken, wenn sich die Unerbittlichkeit zeigt, mit der er Flavio verurteilt (II, 17 und 19). Ein Eintauchen in die Tiefen der Leidenschaften der Seele, die in diesem Jahrhundert so gerne ergründet wird. Agnes selbst äußert sich ekstatisch, ihre Gesänge kommen dem Eindruck sinnlicher Befriedigung nah. Ihr permanentes Drängen ist genauso verwirrend wie das ungeduldige Verlangen, von den Flammen verschlungen zu werden „alle fiamme, alle fiamme…“ (II, 28) - nicht nur, um ihrem irdischen Martyrium zu entkommen, sondern auch in einer brennenden und unausweichlichen Bewegung auf den Körper desjenigen hin, der sich „bereits mit dem ihren vereinigt hat“. Andere Zeilen verraten eine unmissverständliche Wolllust, wenn sie die Figur erwähnt, die sie leitet (I, 22), oder auch den Frieden, den man nur bei Gott findet (I, 30). Umgekehrt, in der Not ihrer extremen Einsamkeit (II, 1), scheint ihr zerbrechlicher Gesang nur mehr an einem Faden zu hängen; jenem, der in Verbindung mit den „vaghe stelle…“ steht und gerade eben noch diesen langen Seufzer am Rande der Atemlosigkeit in Ekstase aufrechterhält. Es gibt auch einen körperlichen Aspekt im Umgang mit Gott, vielleicht sogar noch glühender in Agnes’ jungem Körper, da sie „noch nicht das rechte Alter für ein Martyrium erreicht hat“ (De Virginibus, Hl. Ambrosius) und sich in ihrer arglosen Authentizität den Blicken des einen und dem Schwert des anderen aussetzt.

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Sant’Agnese ƒ Einführung von Vincent Boussard

Strom

Wasser

Abwasser

Abfall

Telekommunikation

Krematorium

Bäder

Wärme-Contracting

Natürlich preisen der Hl. Ambrosius, die Kirche und schlussendlich Pamphili bei Agnes das Martyrium der ersten Diener Gottes, von denen man weiß, wie grausam sie im Rom des IV. Jahrhunderts verfolgt wurden. Gleichermaßen findet sich darin der schwärmerische Kampf für den Erhalt der „Jungfräulichkeit“, eine Kardinalstugend. (Als zeitlich weit entferntes Echo annullierte im Juni 2008 ein französisches Gericht eine Ehe aufgrund nur vorgetäuschter Jungfräulichkeit…). Der Bericht über ihr Leiden nützt dem religiösen Dogma und die nachfolgenden, hier erzählten Wunder unterstützen diese Ideologie. Viermal passieren für die weltlichen Zeugen unerklärliche Vorkommnisse zwischen Agnes und der Welt, die sie umgibt: Ein junger Mann, der sich zu nah an sie heranwagt und von dem sie befürchtet, dass er sie schändet, wird vom Blitz erschlagen (II, 6), der selbe Mann ersteht später nach dem Gebet von Agnes wieder von den Toten auf (II, 12). Die Flammen des Scheiterhaufens erlöschen vor ihren Füßen bei ihrer Hinrichtung (II, 29). Eigenartigerweise ist das vierte Vorkommnis dieser Aufzählung, das erste in der Reihenfolge der Geschichte (und der Dichtung!), von Pamphili nicht überliefert: „Der Präfekt befahl also, sie zu entblößen und sie nackt in das Freudenhaus zu bringen; aber der Herr machte ihr Haupthaar so dicht, dass sie von den Haaren besser bedeckt war, als von ihrer Kleidung …“ (De Virginibus, Hl. Ambrosius). Bernardo Pasquini behandelt diese Wunder in seinem Oratorium mit äußerster Zurückhaltung. Er gibt sich damit zufrieden, die Vorgeschichte zu erzählen. Keine Zeile, keine einzige Note in der Musik beschreibt den eigentlichen Hergang. Wir werden diesen Ereignissen einen poetischen Körper geben, so dass sie als Quelle der starken Reaktionen der Schauspieler in diesem Drama erkennbar sind. Agnes, die im Zentrum all dieser Mysterien steht, ist zweifellos die erste Überraschte angesichts dieser übernatürlichen Ereignisse…

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Den Leidensweg von Agnes zurückzuverfolgen bedeutet, Station für Station dem Pfad des Martyriums einer Jugendlichen nachzugehen, die, während sie sich ihrer „Heiligkeit“ nicht bewusst ist, aus ihrer Seele, ihrem Körper und ihrem Traum die Stärke schöpft, auf eine radikale Weise zu zeigen, dass sie in der Liebe frei ist. Zum tragischen Preis ihrer Existenz. f Vincent Boussard Paris, am 2. Juli 2008

www.ikb.at

Übersetzung Andreas Holzmann 21

Sant’Agnese ƒ Einführung

Sant’Agnese ƒ Einführung

Typisch römisch Bernardo Pasquinis Oratorium Sant’Agnese (1677) von Sabine Ehrmann-Herfort Am 17. April 1677 beschreiben die Avvisi di Roma, eine Art Vorläufer der späteren Wochen- und Tageszeitungen, ein besonderes kulturelles Ereignis, das am vorangegangenen Sonntag, dem 11. April 1677, abends im Oratorium der römischen Chiesa Nuova stattgefunden hatte. Mit durchaus auch kritischem Unterton wird hier von einer wunderbaren Komposition Benedetto Pamphilis berichtet, deren Text, voller Sinnsprüche und gelehrter Bemerkungen, offenbar bei den Zuhörern mehr Eindruck hinterlassen hatte als die Musik, zumal – nach Auskunft des Berichts – einige der Sänger an diesem Abend gar nicht gut bei Stimme waren. Viele römische Adlige und auch Kardinäle waren zur Aufführung des Stücks gekommen. Dass es ein „oratorio“ Benedetto Pamphilis war, erfahren wir in der Bekanntmachung, während jedoch der Komponist nicht genannt wird. Wiederholt wird die Komposition am darauf folgenden Montag, dem Ostermontag (18. April 1677), bei Benedetto Pamphili zu Hause, wiederum in Anwesenheit eines vielzähligen Publikums, wie der Chronist mit Genugtuung feststellt. Was der Rezensent verschweigt, sind Komponist und Titel des Werks: es handelt sich um Bernardo Pasquinis Sant’Agnese, ein Oratorium, das auf vielfältige Weise mit Rom und den Bedingungen des römischen Musiklebens verbunden ist. Erzählt wird in diesem Stück das Martyrium der römischen Heiligen Agnese. Sie lebte, wenn es sie denn wirklich gegeben hat, um die Mitte des 3. Jahrhunderts nach Christus. Von ihrem kurzen Leben ist nur das Martyrium bekannt, von dem Damasus, Ambrosius und auch Prudentius berichten. Bereits seit der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts wird Agnese in Rom verehrt. Die Berichte von ihrem Martyrium stecken voller grausiger Details. Für das Zustandekommen einer Aufführung „con istromenti“ hatte sich Pamphili sehr ins Zeug gelegt. Denn im Oratorium der römischen Philippinerkongregation waren üblicherweise nur Generalbassinstrumente zugelassen. Bereits 1630 hatte man aufgrund beständiger Unruhen unter den Zuhörern die Instrumentalmusik im Oratorium abgeschafft, eine Entscheidung, die darauf zielte, den Andachtscharakter der Veranstaltungen zu stärken. Denn die Andacht („devotione“) sollte bei den Veranstaltungen im Vordergrund stehen und nicht durch eine als selbstgefällig und eitel empfundene Musik („vanità della musica“) gestört werden. Ausnahmen von diesem Verbot waren möglich, und gerade 22

bei Interventionen einflussreicher Persönlichkeiten hat man (unter Vorbehalten) Zugeständnisse gemacht. So war Benedetto Pamphili bereits 1673 schon einmal die Aufführung eines mit Instrumenten begleiteten Oratoriums gestattet worden, und auch Cristina von Schweden hatte 1675 für eine Oratorienaufführung erfolgreich interveniert. Und so erhält Pamphili, der die Kongregation mit großem Nachdruck um Erlaubnis für die Aufführung von S. Agnese „con istromenti“ im Filippiner-Oratorium gebeten hatte, am 11. März 1677 ein weiteres Mal eine Ausnahmegenehmigung. Bereits der junge, vierundzwanzigjährige Benedetto Pamphili (1653– 1730), der spätere Kardinal, war sehr einflussreich, vermögend und ehrgeizig. Just seit 1677 auch principe der römischen Accademia degli Umoristi und später (ab 1695) auch Mitglied der Arcadia, strebte er in dieser Zeit nach der Kardinalswürde und da galt es auch, die Werbetrommel für sich und die eigene Familie zu rühren. Pamphili sollte dann im weiteren Verlauf seines Lebens zu einem wichtigen Förderer der Musik in Rom werden. Zahlreiche Oratorien- und Kantatenlibretti stammen aus seiner Feder. Am Oratorium der römischen Chiesa Nuova, in Rom während des 17. Jahrhunderts die primäre Pflegestätte des musikalischen Oratoriums in italienischer Sprache, hatte die Geschichte von S. Agnese bereits vor Pamphilis Dichtung als Oratorienstoff Tradition, und so gibt es vor 1677 noch drei weitere Oratorien mit diesem Stoff im Fundus der Oratorianer. Aber auch das Haus Pamphili selbst hatte zum Agnese-Stoff eine besonders enge Beziehung. Bereits 1651 wurde eine geistliche Oper mit dem Titel Sant’Agnese anlässlich der Hochzeit des Papstneffen Fürst Camillo Pamphili mit Olimpia Aldobrandini nach einem Libretto von Benigni und Musik von Savioni im Palazzo Pamphili am Corso aufgeführt. Im Zuge der Ausbauarbeiten, die Pamphilis Großonkel, Papst Innozenz X. (1644– 1655), am Palazzo Pamphili, dem Familiensitz der Pamphili an der Piazza Navona, vornehmen ließ, wurde auch die angrenzende Kirche Sant’Agnese in Agone zur Familienkirche der Familie Pamphili umfunktioniert und 1672

Kirche S. Agnese in Agone, Piazza Navona, Rom 23

Sant’Agnese ƒ Einführung

eingeweiht. Diese seit dem 8. Jahrhundert auf der Piazza Navona angesiedelte Kirche ist der Heiligen Agnes geweiht und steht an der Stelle, wo Agnes der Legende nach für ihre Verfolger auf dem Markt zur Schau gestellt worden und gestorben war. Just 1677 wurde auch Papst Innozenz X., der bereits 1655 gestorben und zunächst im Petersdom begraben worden war, nach Sant’Agnese in Agone überführt und dort feierlich bestattet. Im Jahr 1677 also greift Benedetto Pamphili diesen „Familienstoff“ wieder auf, der womöglich auch durch die Bestattung von Innozenz X. in Sant’Agnese für die Familie neue Aktualität gewonnen hatte und überhaupt eine Art „Logofunktion“ für die Pamphili zu haben schien. Mit Bernardo Pasquini wählt Pamphili für sein Oratorium von 1677 einen Komponisten, der auch selbst beste Kontakte zur römischen Aristokratie besaß. Bernardo Pasquini (1637–1710) stammt aus der Toskana, ist sowohl als Komponist wie als Instrumentalist an Orgel und Cembalo sehr erfolgreich. Nach einer Tätigkeit als Organist an der Accademia della Morte in Ferrara (1654–1655), einem der wichtigsten musikalischen Zentren der Stadt, kommt er nach Rom, wo er an verschiedenen Kirchen als Organist tätig wird (ca. 1657–1664 an S. Maria in Vallicella; 1664 an Santa Maria Maggiore und Santa Maria in Aracoeli). Außerdem schreibt er zahlreiche Oratorien, Opern, Serenaden und Instrumentalmusik, insbesondere für wichtige Vertreter des römischen Adels seiner Zeit. Als einer von nur wenigen Musikern wird er 1706 in die römische Accademia dell’Arcadia aufgenommen. Ab 1667 stand Pasquini in Diensten des

Giovanni Battista Faldal, Oratorium und Kirche S. Maria in Vallicella, Rom 1665 24

Sant’Agnese ƒ Einführung

römischen Fürsten Giovan Battista Borghese, später in den Diensten von dessen Sohn Marcantonio Borghese und lebte im römischen Stadtpalast der Familie Borghese. Auch Pasquini ist, wie Pamphili, in der römischen Musikszene bestens vernetzt und hat zudem zahlreiche europäische Kontakte, war in Paris gewesen und vielleicht auch in Wien und als Lehrer eines auch internationalen Schülerkreises, zu dem auch Georg Muffat und Johann Philipp Krieger zählen, sehr erfolgreich. Gestorben ist Pasquini 1710 in Rom und wurde in der dortigen Kirche S. Lorenzo in Lucina begraben.

Pietro Papaleo, Grabmal von Bernardo Pasquini in der Kirche S. Lorenzo in Lucina, Rom

Pamphilis und Pasquinis Sant’Agnese ist ein italienisches Oratorium, ein oratorio volgare, im Gegensatz zum lateinischen Oratorium, wie es an SS. Crocifisso in Rom aufgeführt wurde. Das italienische Oratorium hat viele Wurzeln. Die dialogischen geistlichen Madrigale des frühen 17. Jahrhunderts gehören dazu, aber auch Elemente der geistlichen Oper, wie sie in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ebenfalls in Rom gepflegt wurde. Die primäre Pflegestätte des musikalischen Oratoriums war im 17. Jahrhundert, wie schon gesagt, das Oratorium der Filippiner an der Chiesa Nuova in Rom. Was ist ein Oratorium? Es ist ein in der Regel zweiteiliges geistliches Werk, vornehmlich zu Texten aus dem Alten und Neuen Testament und zu Heiligenlegenden, anfangs mit einem Erzähler, später zunehmend auch dramatisch orientiert, mit Formen, die denen der Oper nahe kommen. Das Oratorium entwickelt sich parallel zur Gattung der Oper, besitzt ebenfalls ein Libretto, kennt allerdings keine szenische, bühnenmäßige Darstellung. Konsolidiert hat sich die als „oratorio“ bezeichnete Gattung nach der Mitte des 17. Jahrhunderts. Theoretische Abhandlungen zum Oratorium gibt es aus dieser Zeit kaum. Zwei wichtige Untersuchungen stammen erst vom Beginn des 18. Jahrhunderts, auch wenn sie teilweise ihre Definitionsmerkmale aus Oratorienquellen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ableiten. Auch Pamphilis und Pasquinis Sant’Agnese ist ein zweiteiliges Oratorium, das aus insgesamt rund 600 Versen besteht. Die fünf Gesprächspartner sind, wie häufig in den Oratorienlibretti, als „Interlocutori“ oder 25

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„Intervenienti“ bezeichnet, und auch die Fünfzahl der Mitwirkenden gehört zum Standard (SSATB). An dem Geschehen um S. Agnese sind beteiligt: Flavio, der Sohn der Präfekten, ein Alt; der Präfekt, ein Baß; Madre di S. Agnese, die Mutter, Sopran; S. Agnese, Sopran; Aspasio, ein Tenor. Das Stück verzichtet auf die Figur des Erzählers (Testo). Der Libretto-Text ist zunächst handschriftlich überliefert in der römischen Libretto-Sammlung Theatro spirituale, ausgewiesen als Text von Benedetto Pamphili, ohne den Komponisten der Vertonung zu nennen. Gedruckte Libretti gibt es nur von Aufführungen außerhalb Roms, die u. a. 1678 in Ferrara und in Wien stattfanden, danach auch noch in Modena, Lucca und Florenz. Handschriftliche Partituren dieses Oratoriums existieren in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien (A-Wn) und in Modena (I-MOe). Das Werk besteht neben Instrumentalritornellen aus den Formen Rezitativ und Aria, wobei nur einige der Arien auch in der Partitur tatsächlich als „aria“ bezeichnet sind. Zu den Interlocutori und den Generalbassinstrumenten kann, insbesondere bei Arien und instrumentalen Zwischenspielen, ein fünfstimmiger Streichersatz treten. Szenenangaben enthält das Libretto keine, wohl aber finden sich gleich zu Beginn des Stücks Hinweise darauf, dass die Geschichte in Rom spielt: Flavio nennt sowohl Quirinus, einen römischen Kriegsgott, als auch Jupiter und macht gleich mit seinem ersten Monolog den Rahmen

Sant’Agnese ƒ Einführung

deutlich, in dem das folgende Gespräch stattfindet. Auch Agneses Mutter nennt zu Beginn ihres „Auftritts“ in der darauffolgenden Szene den durch Rom, die Stadt des Mars, fließenden Tiber. Die somit nur imaginär vorhandene Szene wird also durch sparsame Andeutungen abgesteckt. Besonders reduziert sind die Ortsangaben zu Beginn des zweiten Teils des Oratoriums, wo S. Agnese zur Prostitution angeboten werden soll. Agnese spricht an dieser einigermaßen delikaten Stelle nur gleichnishaft von den Stürmen („procelle“), während der ihr nachstellende Flavio ein „unzüchtiges Labyrinth voller düsterer Schrecken“ beschreibt. Auf diese Weise werden Ortsangaben und Aktionen vielfach in beschreibende Beobachtungen „verpackt“. So ist es beispielsweise die Mutter, die einen Auftritt von Flavio und Aspasio expressis verbis ankündigt, dabei zugleich ihren und der Tochter Abgang vorbereitet, indem sie zur Flucht rät. Auf ähnliche Weise wird später Agneses Auftritt vom Prefetto vorangekündigt. Überhaupt ist der erste Teil des Oratoriums handlungsarm, während das Hauptgewicht auf reflektierenden Partien liegt, die sich aus Topoi und gleichnishaften Bildern speisen. So vergleicht beispielsweise Flavio seine Angebetete mit „Schönen Kleinoden und kostbaren Perlen“ (ein Vergleich, den sie freilich aus seiner Sicht nicht besteht), oder es sind typisierte Bilder vom Haarschopf der Fortuna (Prefetto) oder dem Schiff auf ruhiger See (Agnese). Dramatischere Bewegung und auch musikalisch eine erregtere Sprache bringt erst der – für solche Oratorien ebenfalls sehr typische – Wutund Gewaltausbruch des Tyrannen, wie er gegen Ende des ersten Teils stattfindet: „Un delirio ineuitabile“, der sich gegen Agnese und ihre Glaubensgewißheit richtet. Solche eher dem Dramatischen zuneigenden Szenen setzen sich im zweiten Teil fort. So ruft Agnese, um der Schändung durch Flavio zu entgehen, den „sposo immortale“ zur Hilfe. Es geschieht das erste Wunder, und Flavio stirbt. Darauf richtet sich der ganze Zorn des Präfekten gegen Agnese und er schwört Rache. Ira und vendetta bestimmen seine rezitativische Rede (II, 8: „Ma già che a me si toglie“), in der er Agnese auch als grausame Circe und böse Medea beschimpft. Nachdem Aspasio dem Präfekten vom drohenden Volksaufstand berichtet hat und er damit beauftragt wird, das „rächende Feuer zu entfachen“, ist auch Aspasios musikalische Rede von einem eher dramatischen Affektausdruck bestimmt.

Titelblatt der handschriftlichen Partitur, Österreichische Nationalbibliothek, Wien 26

Es ist ein Charakteristikum dieses Oratoriumstextes, dass er eine Fülle von Bildern aus der griechischen Mythologie verarbeitet. Schon die Besprechung des Oratoriums in den Avvisi hatte ja die gelehrten Aspekte des Werks hervorgehoben. Besonders viele solch mytholo27

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gischer Bilder werden in den Reden des altrömischen Präfekten und des Aspasio angeführt. Natürlich kannte die römische Oberschicht des Seicento, die sich wie Pamphili in den Kreisen der römischen Akademien bewegte, diese antike mythologische Welt sehr gut. Es liegt also nahe, dass Pamphili hier der römischen Gesellschaft einen Spiegel vorhält. Wie für Oratorien mit Heiligensujets typisch, exponiert die vorgestellte Handlung von Anfang an zwei Parteien: einerseits Macht und Gesetz des altrömischen Imperiums, vertreten durch den Präfekten, der gleich zu Beginn als der „gefürchtete Vater“ eingeführt wird („temuto padre“) und der sich in seiner Macht von Jupiter selbst legitimiert fühlt. Zu dieser Partei gehören auch Aspasio, der „Handlanger“ und Vollstrecker des Mordes an Agnese, und im ersten Teil des Oratoriums ist auch Flavio, der Sohn des Präfekten und Verehrer der Agnese, dieser Welt der Mächtigen und Privilegierten zuzurechnen. Als er dann im zweiten Teil vom Tode wieder erweckt wird, hat Flavio die Seiten gewechselt. Hierin könnte eine theologische Anspielung stecken auf den Tod als „Purgatorium“, das zu dem wahren Heil führt, in dem sich Agnese bereits befindet. Die „beiden Welten“ können also unterschiedlicher nicht sein. Selbst ihre Götter werden verschieden bezeichnet: „numi“ für die antiken Götter, dio, Giesu oder Cristo für den christlichen Gott. Die Gegenwelt bilden also die in ihren Handlungen vom Glauben geleitete Agnese, ihre Mutter und im zweiten Teil auch der sie liebende und bekehrte Flavio. Agnese, die Hauptperson, wird stets als Heilige bezeichnet. Das ist auch die Perspektive, aus der die Geschichte ihres Martyriums erzählt wird: die Heilige hat mit der Welt bereits abgeschlossen und wird von dramatischen Affekten nicht wirklich mehr bewegt. Im Zentrum ihrer Äußerungen steht stets das Bekenntnis zu Christus, das sich auch an mehrfach vorkommenden Begriffen und Symbolen wie „fede“ oder „croce“ ablesen lässt. Während freilich die Götter der antikrömischen Welt aus dieser Perspektive „falsi numi“ sind, betet Flavio nach seiner Bekehrung zum „immenso Dio“. Aus der Sicht der christlichen Seite wird die antike Welt als dunkel, abgründig, tyrannisch, barbarisch, böse und vom Fatum beherrscht vorgestellt, was auch deshalb einigermaßen verwundert, weil doch gerade in den Kreisen um Pamphili und die spätere Arcadia eine starke Antikenbegeisterung herrschte. Das Stück also ist auf Sant’Agnese hin fokussiert. Das spiegeln auch die anderen Personen. Die Mutter ist stets die Madre di S. Agnese. Der Präfekt hat keinen Namen, ist keine wirkliche Persönlichkeit, auch nicht wirklich ein Vater, sondern in erster Linie Funktionsträger, ein typischer, starrer Vertreter der Macht und Repräsentant der altrö28

Sant’Agnese ƒ Einführung

mischen Oberschicht. Aspasio ist sozusagen sein verlängerter Arm, blind in seinem Hass und seiner Wut auf die Christin, fast könnte man vermuten, es treibe ihn eine verborgene Eifersucht. Nur Flavio trägt zumindest im ersten Teil menschlichere, individuellere Züge, beispielsweise wenn er in seinem ersten Liebeslied vom Glanz der schönen Agnese spricht. Agnese ihrerseits ist kein zwölfjähriges Mädchen, sondern agiert, wie bereits gesagt wurde, von Anfang an als Heilige. Irdisch bestimmte Affekte sind ihr lästig, sie weilt schon längst in einer anderen Welt. Als die Mutter das tragische Geschehen und das schreckliche Schauspiel der Tochter beklagt, tut Agnese die „affetti molesti“ der Mutter mit den Worten ab: „Mutter, wenn du mit dem unpassenden Ausbruch deiner Gefühle den Sieg meiner Seele hinauszögerst, bist du mit mir grausamer als jede Qual.“ Eine menschliche Reaktion ist das nicht mehr, eher die einer Heiligen. Diese beiden Welten, die das Oratorium vorstellt und die sich im Grunde gar nicht berühren, werden auch musikalisch kontrastiert. Alles zielt auf diese Kontrastierung hin und auf die „ungestörte“ Darstellung der Heiligen und ihres Glaubens. Die zwei Teile des Oratoriums werden jeweils durch einen Monolog Flavios bzw. Agneses eröffnet. Rezitative, die häufig auch in ariose Formen (mezz’arie) übergehen können, wechseln im Folgenden mit Arien ab, die meist strophisch angelegt sind und in immer wieder variierter Bauart instrumentale Zwischenspiele bzw. Ritornelle integrieren. Außerdem gibt es vier Duette, die allerdings nur von den „Guten“ vorgetragen werden: im ersten Teil ein Duett der Mutter mit S. Agnese, den ersten Teil beschließend ein Duett von Flavio mit S. Agnese. Im zweiten Teil ein Duett der S. Agnese mit Flavio, und am Schluss, nach Agneses Tod, die Klage der Mutter und Flavios à 2. Die Rezitativverse bestehen in der Regel aus den dafür typischen versi sciolti, also Elfsilblern und Siebensilblern. Die Versform der Arien variiert, je nach dramaturgischer Position des jeweiligen Stücks. Strophen mit 4, 6, 8 und 10Silblern sind in der Regel S. Agnese vorbehalten. Häufig hat sie einfache, liedhafte, volkstümlich anmutende Stücke, meist im Dreiertakt, wie das doppelstrophige Vaga rosa, das mit der Symbolik der Rose spielt. Erst mit dem jambischen 11Silbler der Schlusszeile, der auf die Zerbrechlichkeit der schönen Rose anspielt („sia specchio un fiore, à una beltà di vetro“), wechseln beide Strophen wiederum in die Rezitation eines geraden Takts. Ähnlich schlicht ist Agneses darauf folgende einstrophige Aria bzw. Cavata „Nuda balza“, die ebenfalls an liedhafte Vorbilder aus der ersten Hälfte des Seicento denken lässt (so beispielsweise Frescobaldis 29

Sant’Agnese ƒ Einführung

„Se l’aura spira“ von 1630) und die abgesehen vom Generalbass ganz auf Instrumente verzichtet und nur die „reine“ Stimme präsentiert. Bei den beiden von der Vergänglichkeit sprechenden Elfsilblern am Strophenschluss geht auch sie wiederum in den rezitierenden geraden Takt über. Dahinter scheint eine ziemlich einfache Botschaft zu stecken: die Vergänglichkeit der Welt wird musikalisch deklamierend im tempus imperfectum vorgestellt, die Schönheiten des Glaubens dagegen in schlichtem kantablem Dreiertakt. Doch der die gegnerische Welt repäsentierende Tyrann wird getrieben von delirio, ira, vendetta und zeigt seine Wut. Er tut das u.a. in seiner Aria Un delirio inevitabile, die sowohl metrisch als auch musikalisch ein Kontrastprogramm zu Agneses lyrischen Äußerungen darstellt. So singt der Prefetto in Acht- und Zehnsilblern mit sdrucciolo- und tronco-Ausgang und deklamiert dabei in kurzen Notenwerten, in Achteln, Sechzehnteln, mit Punktierungen und gehenden Bässen. Zur Verstärkung der besonderen Affektlagen der beiden Parteien werden auch dynamische Bezeichnungen und Tempoangaben herangezogen. Allerdings fehlt oftmals die Einbindung der jeweiligen Arie in den dramatischen Kontext, was auch daran liegt, dass in diesem Werk häufig Rezitativ und Arie nicht paarig angeordnet sind, also keine Sinneinheit bilden. So beginnt des Präfekten Aria „Un delirio inevitabile“ unmittelbar nach einem vorangehenden Rezitativ des Flavio, es gibt kein vorbereitendes Rezitativ des Präfekten zur Einführung in seine Gefühlslage. Auf diese Weise wird der Eindruck verstärkt, dass das Stück und die in ihm vermittelte Wut Agnese gar nicht mehr trifft und quasi an ihr abperlt, ja sie auch gar nicht treffen soll, da sie ja bereits „die Heilige“ ist. Irgendwie „unecht“, weil gänzlich typisiert, erscheint auch die mit Adagio überschriebene Klage des Präfekten um seinen Sohn, eine typische Lamento-Szene. Metrisch besteht sie aus daktylischen Fünfsilblern, einem Formtypus, der auch in Opernszenen der Zeit verbreitet ist. Auch Aspasios Wutarie „D’aspro duol non sia ricetto“, mit der seine Abrechnung mit Agnese beginnt, ist konventionell-virtuos, in Achteln deklamierend, und nutzt in den Zwischenspielen die Instrumente in der Art zeitgenössischer Concerti musicali. Dass Pasquini ein genialer Musiker war, steht außer Frage. Nicht umsonst hat auch Christina von Schweden große Stücke auf ihn gehalten, und als in der Accademia dell’Arcadia ein eigenes, aus Sängern und Instrumentalisten bestehendes Ensemble gegründet werden sollte, wollte man Pasquini die Leitung übertragen. Mit seinem Oratorium Sant’Agnese hat er ein Lehrstück geschrieben, das sich ganz in den Dienst der gegenreformatorischen Andachtsfunktion stellt. Will man 30

Sant’Agnese ƒ Einführung

das Stück ein wenig schwarz-weiß malend deuten, so deklamiert die irdische, bisweilen bösartige Welt in kurzen, geraden Werten, während die schönen, kantablen „reinen“ Melodien Agneses im trinitarisch aufgeladenen Dreiertakt stehen. Dieses einfache Zwei-Weltenmodell lebt außerdem von zahlreichen malenden, bildlichen Darstellungen in der Musik, wenn beispielsweise bei den „düsteren Zypressen“, von denen der Präfekt spricht, ungewöhnliche Intervallsprünge eingesetzt werden, oder eine absteigende chromatische Linie komponiert wird, wo Flavio, zwischen Liebe und Brutalität schwankend, von der Hoffnung spricht, die Geliebte auf seiner Suche im Bordell wiederzutreffen. Wirklich dramatisch im Sinne von heftigem Ausdruck der Leidenschaften wird das Werk nur selten. Eine der wenigen von menschlichen Affekten gesteuerte Stelle ist das Rezitativ des Präfekten, das auf seine Klage um den toten Sohn folgt. Hier schwört er in einem Wutausbruch Rache und will seinen Zorn gegen Agnese-Circe-Medea richten. Wutgesteuert ist ebenfalls Aspasio, wenn auf seine Wutarie „D’aspro duol“ das Rezitativ in Sechzehnteldeklamation „eccitate eccitate l’ardor di fiamma ultrice“ (Teil 2, 21) folgt. Pamphilis und Pasquinis Werk wurde im Oratorium der römischen Chiesa Nuova aufgeführt. Dort waren, bereits seit 1640, die Emporen, auf denen die Sänger musizierten, durch Blendgitter uneinsichtig gemacht. Kein optischer Eindruck sollte von der dienenden Funktion der Musik ablenken. So herrschte dort eine Aufführungssituation, bei der man nicht einmal durch die Gestik der Sänger abgelenkt und gestört werden konnte. Die vorgetragene Handlung musste sich so vor dem inneren Auge abspielen. Bei dieser inneren Vorstellung der Handlung halfen den Hörern eine typisierte Darstellung der Figuren und eine bisweilen plastische Umsetzung semantischer Inhalte in die Musik. Auch gerade die im guten Sinne einfachen und schlichten Stücke Agneses boten ein hohes Identifikationspotential, und waren letztendlich jedem der Zuhörer „verständlich“, zumal für Agnese geradezu „himmlische“ Musik komponiert wurde. Pasquinis demonstratives Stück konnte also zur belehrenden Unterweisung funktionalisiert werden. Dabei präsentiert das Oratorium eine Vielzahl von Aria-Varianten. So entspricht der metrischen Vielfalt der Strophen auch ein musikalischer Formenreichtum, der auf die beiden in didaktischer Absicht stilisierten Welten abgestimmt ist. Im Dienste dieser Aufgabe stehen auch zahlreiche musikalische Parameter wie Tempomodifikationen und Taktarten. 31

Sant’Agnese ƒ Einführung

So wird auch die Da-capo-artige, vom Ritornell durchdrungene ABA’Form von Agneses letzter gebetsartiger Aria ganz im Sinne der Lehrfunktion des Stücks genutzt: der Zuhörer soll sich, im Sinne einer Moral, die Position Agneses zu eigen machen: „in eterno adorero“. Insgesamt betrachtet sind es vielfältige Intentionen, die an die Aufführung dieses Stücks geknüpft waren. Einerseits fungierte das Oratorium Sant’Agnese im Rahmen des Oratorio vespertino in der Chiesa Nuova zu Beginn der Karwoche als eine Andachtsmusik, die den Zuhörern Glaubensinhalte vermitteln sollte. Andererseits schwang dabei auch eine gehörige Portion Eigenwerbung mit, die der Kunstförderer und künftige Kardinal Pamphili für seine eigene Karriere zu nutzen suchte. Denn das Sujet des Werks war aufs engste mit dem Haus Pamphili verbunden, und auch den Zeitgenossen ist Pamphilis öffentliche Werbung für sich nicht verborgen geblieben. f

Sabine Ehrmann-Herfort studierte Musikwissenschaft, Klassische Philologie und Philosophie an den Universitäten Tübingen und Freiburg im Breisgau. Ihre Promotion legte sie im Fach Musikwissenschaft vor. Danach war sie zunächst wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte an den Universitäten in Freiburg und Karlsruhe und anschließend wissenschaftliche Mitarbeiterin an dem von Hans Heinrich Eggebrecht, danach von Albrecht Riethmüller herausgegebenen „Handwörterbuch der musikalischen Terminologie“. Seit 2002 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und stellvertretende Leiterin an der Musikgeschichtlichen Abteilung des Deutschen Historischen Instituts in Rom. Zu den Schwerpunkten ihrer Forschung gehören Oper und Musiktheater, musikalische Terminologie, italienische Musikgeschichte und Musiktheorie.

Der Artikel ist ein Originalbeitrag und entstand im Rahmen des Symposium der Innsbrucker Festwochen 2008 – „Die Moral von der Geschicht’: Zum Oratorium des 17. und 18. Jahrhunderts“

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Ercole Ferrata, Sant'Agnese 1660, Kirche Sant'Agnese in Agone, Rom

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passio agnetis das leiden der agnes Agnes sepulcrum est Romulea in domo, Agnes – ja rein ruht sie in eines Römerhauses Grab, fortis puellae, martyris inclytae. das starke Mädchen, die berühmte Märtyrerin. Conspectu in ipso condita turrium Bestattet, wo man auf die Türme blickt der Stadt,

Cingit coronis interea Deus Derweil ziert Gott mit zweier Kronen Schmuck

servat salutem virgo Quiritium bewahrt die Jungfrau der Quiriten Wohlergeh’n

frontem duabus martyris innubae; die Stirn der unvermählten Märtyrerin;

nec non et ipsos protegit advenas und nicht nur dies allein, beschützt auch Fremde gar,

unam decemplex edita sexies die ein’ als sechzigfach erwies’nen Lohn

puro ac fideli pectore supplices. die rein und treuen Herzens ihren Schutz erfleh’n.

merces perenni lumine conficit, gestaltet er mit seinem immerwähr’ndem Licht,

Duplex corona est praestita martyri: Ein’ Doppelkrone ward’ verlieh’n der Märtyrerin,

centenus extat fructus in altera. die andere mit hundertfacher Fruchtbarkeit.

intactum ab omni crimine virginal, denn kein Vergeh’n hat ihr’ Jungfräulichkeit entehrt, mortis deinde gloria liberae. und weit’ren Ruhm ihr Freimut für den Tod gebracht.

O virgo felix, o nova gloria, O glücklich’ Jungfrau du, o neuer Ruhm, caelestis arcis nobilis incola, du edle Bürgerin der Himmelsburg,

Aiunt iugali vix habilem toro Das Mädchen, kaum erst liebesreif, das, wie man sagt,

intende nostris conluvionibus wend unsrem Elend du dein Auge zu,

primis in annis forte puellulam in früher Kindheit schon für Christus heiß entbrannt’,

vultum gemello cum diademate, die du geschmückt vom Zwillingsdiadem

Christo calentem fortiter inpiis verweigert gottlos’ Pflichten mit Entschiedenheit,

cui posse soli cunctiparens dedit als einzige von Gott die Macht erhieltst,

iussis renisam, quo minus idolis damit es nicht in sklav’schem Götzendienst

castum vel ipsum reddere fornicem! rein selbst ein Freudenhaus zu lassen.

addicta sacram desereret fidem. verraten müsst den Glauben, der ihr heilig war.

Purgabor oris propitiabilis Erfüllst du unser Herz mit deiner Zuneigung,

Temptata multis nam prius artibus, Zuvor schon hatt’ man es mit List verführen woll’n,

fulgore, nostrum si iecur inpleas. so werd’ auch ich vom Glanze deiner Gnade rein.

nunc ore blandi iudicis inlice, sei’s über eines Richters lockend’ Schmeichelwort’,

Nil non pudicum est, quod pia visere Denn alles sittsam ist, was güt’gen Aug’s du seh’n

nunc saevientis carnificis minis sei’s, dass ein unbarmherz’ger Schinder es bedroht’,

dignaris almo vel pede tangere. und mit erhab’nem Fuße du berühren darfst.

stabat feroci robure pertinax doch unbeirrt es widerstand mit Kraft und Mut, corpusque duris excruciatibus aus freien Stücken gar sich Foltern überließ ultro offerebat non renuens mori. […] ohn’ jede Angst, dabei den Tod zu finden. […] 34

Aurelius Prudentius Clemens (348 – ca. 413 v.Chr.) Liber Peristephanon, carmen XIV Übersetzung Bernhard Drobig 35

Sant’Agnese

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Naturerlebnis und Kulturgenuss Innsbruck und seine Feriendörfer

ƒ Biografien

Alessandro De Marchi studierte am Konservatorium in Rom und an der Schola Cantorum Basiliensis. Er tritt regelmäßig in den renommiertesten Theatern und bei den wichtigsten Festivals auf. Bislang dirigierte er an der Staatsoper Unter den Linden, am Théâtre de la Monnaie in Brüssel, an der Hamburgischen Staatsoper, am Teatro Regio in Turin, beim Maggio Musicale Fiorentino, an der Sächsischen Staatsoper Dresden, am Essener Aalto-Theater, an der Opéra National in Lyon, beim MDR in Hannover, am Prager Estates Theater, beim Rossini Festival in Bad Wildbad, beim Montreux Festival, den Händel-Festspielen in Halle, das Orchestre de Chambre de Genève, das Academia Santa Cecilia Orchester in Rom, unter anderem Giovanni Battista Pergolesis Il matrimonio Segreto, Gaetano Donizettis Don Pasquale, Joseph Haydns L'isola disabitata, Gioacchino Rossinis Der Barbier von Sevilla und La Cenerentola, Christoph Willibald Glucks Don Juan, Wolfgang Amadeus Mozarts Il Re Pastore, Le Nozze di Figaro, Così fan tutte, Don Giovanni, La Clemenza di Tito, Die Entführung aus dem Serail, Claudio Monteverdis Incoronazione di Poppea, Reinhard Keisers Der lächerliche Prinz Jodelet, Georg Friedrich Händels Julius Cäsar in Ägypten, Alcina und Johann Adolph Hasses Cleofide. Alessandro De Marchi ist Erster Dirigent des Orchesters der Academia Montis Regalis, mit dem er u.a. Antonio Vivaldis Juditha Triumphans, Orlando finto pazzo (beide für Naïve aufgenommen), L’Olimpiade auf einer Konzerttour beim Paris Théâtre des Champs Elysées und in Lyon aufführte sowie Il Re pastore für die Innsbrucker Festwochen einstudierte. Außerdem wirkte er bei CD-Aufnahmen für Naïve, Opus 111, Harmonia Mundi France, Accord, Symphonia, K617, Auvidis, WDR, Radio France, Radio Classique und Amadeus mit. Alessandro De Marchi war in Innsbruck 2003 als Cembalist des Rare Fruits Council zu Gast. Mit Il Re pastore gab er 2006 sein Debüt als Dirigent bei den Innsbrucker Festwochen. f

Innsbruck Tourismus, Tel. +43-512-59 850, [email protected] 37 TVB-Innsbruck_Ins_Almanach-Innsbrucker-Festwochen_h181xb94_SW_D_RZ.indd 1

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Sant’Agnese

Vincent Boussard sammelt erste Regieerfahrungen an Theater und Oper an der Seite von Yannis Kokkos und Jean-Pierre Miquel. 1996 wirkt er an der Eröffnung des Studio-Théâtre de la Comédie Francaise mit und übernimmt dessen Leitung für vier Spielzeiten. Seit einigen Jahren widmet er sich in erster Linie der Oper. Er arbeitete bereits mit William Christie und Les Arts Florissants (Dido und Aeneas, Actéon, La Descente d’Orphée, Les Arts Florissants), Teresa Berganza (Cosí fan tutte), sowie Alessandro De Marchi und René Jacobs zusammen. An der Opéra Royal de la Monnaie in Brüssel ist er regelmäßig zu Gast und inszenierte bereits Il Re pastore, Eliogabalo und zuletzt Cosí fan tutte. 2007 brachte er in Brüssel die erste Oper von Benoît Mernier nach Wedekinds Frühlings Erwachen auf die Bühne, im Juli desselben Jahres Mozarts Le nozze di Figaro in Aix-en-Provence. Bei den Innsbrucker Festwochen war er 2004 erstmals mit Francesco Cavallis Eliogabalo zu Gast. 2006 übernahm er die Regie beider Opern im Mozartjahr, die Kostüme dazu entwarf Christian Lacroix, mit dem Boussard eine langjährige Künstlerfreundschaft verbindet. Seine Regiearbeit Don Giovanni in Zusammenarbeit mit René Jacobs, die auch in Baden Baden und Paris zu sehen war, wurde ergänzt durch die gemeinsam mit Alessandro De Marchi erarbeitete frühe Oper Il Re pastore, für die er außerdem auch das Bühnenbild verantwortete. f

Vincent Lemaire beendet seine Ausbildung zum Bühnebildner 1991. Er gestaltet seitdem zahlreiche Bühnen für Theater, Ballett und Oper. Lemaire arbeitete dabei mit Philippe Sireul, Frédéric Dussenne und Vincent Boussard in Frankreich, Belgien und der Schweiz. Für Philippe Sireul hat er das Bühnebild zu La Bohème und La favorite am Zürcher Opernhaus gestaltet. Mit Vincent Boussard arbeitete er an den Produktionen Eliogabalo in Brüssel und Maria Golovin in Marseille zusammen. Für das Théâtre National Paris in der Regie von Philippe Sireul stattete er

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ƒ Biografien

Shakespeares Maß für Maß aus. Lemaire wurde für seine Arbeit bereits zweimal mit dem „Prix du Théâtre“ für das beste Bühnebild ausgezeichnet. Bei den Innsbrucker Festwochen war 2004 mit Francesco Cavallis Eliogabalo erstmals eine Bühnenarbeit Vincent Lemaires zu sehen, gefolgt 2006 mit dem Bühnenbild für Don Giovanni. f

Stephanie Zani stammt ursprünglich aus Innsbruck. Zwischen 1995 und 98 absolviert sie in der Schweiz eine Ausbildung zur Schneiderin der Haute Couture und Modedesign an der Ecole d'Arts von La Chaux-deFonds. Anschließend spezialisiert sie sich mit einem BA zur Kostüm- und Bühnenbildnerin am Central Saint Martins College of Art and Design in London. Seit dem Beginn ihrer Karriere realisierte sie folgende Projekte: König Ubu von Alfred Jarry, inszeniert von Clemens Bechtl (Schweiz 2000), Die Stühle von Eugène Ionesco (London 2001), Masken und Make-up für Henrik Ibsens Peer Gynt in der Inszenierung von David Levine (London 2002), Kostüm- und Bühnenbild für The Box Project, Choreographie von Talya Orbach (London 2002), Kostümmitarbeit für Glück, inszeniert von Holger Brandes (Berlin 2006). Als Assistentin arbeitete sie sowohl für das Theater als auch die Oper: Cruel and Tender, inszeniert von Luc Bondy (London 2004), Tierno Bokar, inszeniert von Peter Brook für die RuhrTriennale 2004, Die Eine und die Andere, inszeniert von Luc Bondy (Berlin 2005), Miss Julie, inszeniert von Luc Bondy (Brüssel 2005), Boris Godunov in der Inszenierung von Klaus Michael Grüber (Brüssel 2006), Quartett, inszeniert von Robert Wilson (Paris 2006), Œdipe et Rossignol, inszeniert und choreographiert von Lucinda Childs, King Lear, inszeniert von Luc Bondy (Wien 2007), Motortown, inszeniert von Andrea Brecht (Wien 2008). Unter anderem arbeitete sie bei folgenden Filmen mit: Du rouge sur la Croix von Dominique Othenin-Girard (Koproduktion Österreich Schweiz, Frankreich und Algerien), 2005, Zodiak von Andreas Prochaska (Wien 2006). Das Kostümbild für Sant’Agnese, ihre erste Zusammenarbeit mit Vincent Boussard, ist zugleich Stephanie Zanis Debüt bei den Innsbrucker Festwochen. f

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Sant’Agnese

B A r O C K E F E S T TA g E ’ 0 8 Von 14. bis 23. Oktober

ReN é JacoBs

Orfeo ed Euridice dirigiert

ch. W. Gluck

Premiere: 14. 10. 2008, 19.30 Uhr

Konzerte

Aufführungen: 16. / 19. / 21. / 23. 10. 2008 regie: Stephen Lawless | Bühne: Benoît Dugardyn Bejun Mehta, Miah Persson, Sunhae Im | Freiburger Barockorchester

Farinelli & Friends | 15. 10., 19.30 Uhr Stefano Molardi | I Virtuosi delle Muse | Max Emanuel Cenciˇc

Bachs „Hohe Messe“ | 18. 10., 19.30 Uhr Ton Koopman | Amsterdam Baroque Orchestra & Choir

Barocker Norden | 20. 10., 19.30 Uhr Akademie für Alte Musik Berlin | Sandrine Piau

Bach & Händel | 22. 10., 19.30 Uhr Harry Bicket | The English Concert | David Daniels

ƒ Biografien

Die Sopranistin Emmanuelle de Negri spielte acht Jahre lang Violoncello bevor sie in das Konservatorium von Nîmes in die Klasse für lyrischen Gesang von Daniel Salas kam. Dort beschäftigte sie sich fünf Jahre lang mit den Opern von Mozart und Rossini. Zugleich studierte sie Literaturwissenschaft an der Universität Montpellier. 2002 wird sie am CNSM (Conservatoire national supérieur de musique) in Paris in die Klasse von Gerda Hartman aufgenommen. Dort arbeitet sie besonders am Belcanto-Repertoire und beschäftigt sich intensiv mit der Barockmusik. In diesen Bereichen arbeitet sie zusammen mit Kenneth Weiss und Nicolau di Figuereido. Weiters beschäftigte sie sich mit dem Lied and der Seite von Anne Grappotte und Jeff Cohen. Im Juni 2006 schloss sie ihr Diplom mit sehr gutem Erfolg und der einstimmigen Gratulation der Jury ab. Anschließend besuchte sie einen Meisterkurs am CNSM und arbeitete mit Susan Manoff und Olivier Reboul zusammen. Zu ihren Rollen zählen u.a. Barberine (Die Hochzeit des Figaro von Mozart), Cupidon (Orpheus in der Unterwelt von Offenbach), Yniold (Pélléas et Mélisande von Débussy) sowie Oberto (Alcina von Händel). Sie arbeitet regelmäßig mit Jean-François Zygel zusammen, mit dem sie am Théâtre de Châtelet in Paris, im Radio und im Fernsehen auftrat. Im Juli arbeitete sie an der Akademie von Aix-en-Provence an der Produktion von Purcells Fairy Queen unter William Christie mit. Emmanuelle de Negri feiert heuer ihr Debüt bei den Innsbrucker Festwochen. f

Die schwedische Sopranistin Karin Roman absolvierte die Göteborger Hochschule für Musik und studierte u.a. bei Dorothy Irving und Marianne Schell von der Göteborger Oper. Heute gilt sie als gefragte Solistin in Oratorien, Opern sowie Operetten, wobei sich ihr Repertoire vom frühen Barock über Romantik bis zu modernen Stücken erstreckt. 2005 debütierte sie erfolgreich beim Europäischen Musikfest in Stuttgart. Karin Roman schloss die Spielzeit 2006 mit zwei Aufsehen erregenden Konzerten ab, zum einen in Haydns Schöpfung unter Paul McCreesh, zum anderen in Händels Messiah unter Nicholas Kreamer. Im selben Jahr wirkte sie im Bachchor in Stockholm 41

Sant’Agnese

Der Passat CC. Wer ihn sieht, sieht nichts anderes.

ellbar. Ab sofort best s. un i Ab Juli be

Der VW Passat CC vereint auf unnachahmliche Weise Coupé-Design, vier Türen, souveränen Komfort, Dynamik, sportliches Interieur sowie Raum ohne Kompromisse und präsentiert sich damit als Auto abseits des Mainstreams.

Perfektion trifft Faszination. „Motorklänge für die Festwochen“

PORSCHE INNSBRUCK-MITTERWEG

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VOWA INNSBRUCK

ƒ Biografien

unter Andrew Parrott und in Norwegen im Rahmen des Mozartjahres mit. Vor allem für ihre Interpretation der Mozart c-moll Messe – aufgeführt mit dem Symphonieorchester Göteborg – wurde die junge Sängerin gelobt. Neben Auftritten in Bachs Johannespassion und in dessen Weihnachtsoratorium war sie mit romantischen Liedern von Strauss, Walton, Stenhammer und Schubert, und auch in Opern von Mozart, Puccini und Lehár zu hören. 2007 beschäftigte sich Karin Roman vor allem mit Werken von Bach, Händel und Scarlatti. Die Höhepunkte im letzten Jahr waren Bachs Messe in h-moll, die Matthäuspassion, das Brahms-, das Dvorák- und das Verdi-Requiem. 2008 nahm sie ein Bachprogramm unter Lars Ulrik Mortensen für die Deutsche Grammophon auf. Karin Roman feiert heuer ihr Debüt bei den Innsbrucker Festwochen. f

Martín Oro stammt aus Buenos Aires, Argentinien, wo er seine ersten musikalischen Erfahrungen als Mitglied im Kinderchor des Teatro Colón machte. Parallel dazu widmete er sich dem Bratschenspiel, das er in der Folge bei Yuri Bashmet am Tschaikowsky-Konservatorium in Moskau perfektionierte. Nach seiner Entscheidung für die Laufbahn als Sänger studierte er in der Schweiz: Fribourg (Lehrdiplom), Neuchâtel (Solistendiplom) und and der Schola Can-torum Basiliensis (Aufbaustudium). Alle diese Ausbildungen schloss er mit höchsten Prädikaten ab. Zu seinen wichtigsten Lehrern zählen René Jacobs, Richard Levitt, Marie-Françoise Schuwey und Jeanne Roth. Hochgeschätzt für seine warme, natürliche und kraftvolle Altstimme ist er in bedeutenden Europäischen Musikzentren aufgetreten. Er sang u.a. unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt, Philippe Herreweghe, Christophe Rousset, Christophe Coin, René Jacobs, Jordi Savall, Joshua Rifkin, Helmuth Rilling, Michael Corboz, Chiara Banchini, W.Kuijken, Martin Gester, Gabriel Garrido und Eduardo López-Banzo. Zu den zahlreichen Opernpartien, die Martin Oro auf Bühnen in aller Welt interpretiert hat, zählen: u.a. Anfinomo in Monteverdis Il Ritorno d’Ulisse in Patria (Opernhaus Zürich/N. Harnoncourt), Arnalta in L’incoronazione di Poppea (Teatro Massimo di Palermo/G. Garrido), Grifone in Vivaldis Orlando finto pazzo. Martín Oro feiert heuer sein Debüt bei den Innsbrucker Festwochen. f

www.vowainnsbruck.at Verbrauch: 5,8 – 10,1 l/100 km. CO2-Emission: 153–242g/km. Symbolfoto. 43

Sant’Agnese ƒ Biografien

Der im südafrikanischen Johannesburg geborene Tenor Kobie van Rensburg absolvierte neben dem Gesangstudium bei Prof. Werner Nel auch Rechts- und Politikwissenschaften mit Auszeichnung. Sein Debüt hatte er bereits im Alter von 20 Jahren als Belmonte in Mozarts Entführung aus dem Serail an der Roodepoort City Opera. Seit Mitte der neunziger Jahre wohnt Kobie van Rensburg in München, wo er an das Gärtnerplatztheater verpflichtet wurde, dem er nach wie vor verbunden ist. Gastspiele führen van Rensburg außerdem regelmäßig an Häuser wie die Berliner Staatsoper Unter den Linden, die Bayerische Staatsoper oder die Opernhäuser von Madrid, Montpellier, Basel, Luzern und Graz. Das Opernrepertoire Kobie van Rensburgs umfasst zahlreiche Hauptpartien Monteverdis, Händels und Mozarts, bis hin zu Werken Verdis und Strauß’. Seinen Schwerpunkt hat van Rensburg dabei in der Barockmusik gesetzt. Als Interpret dieses Repertoires war er auch bei renommierten Festivals wie etwa Salzburg, Schwetzingen und Luzern, sowie in Kairo und Buenos Aires (im Teatro Colon) zu Gast. Bei seinen Opern- und Konzertauftritten arbeitete Kobie van Rensburg mit faktisch sämtlichen auf Barockmusik spezialisierten Ensembles zusammen, darunter Sir Eliot Gardiner, Ivor Bolton und Thomas Hengelbrock. Seine letzten Projekte beinhalteten die Titelrolle in Händels Belshazzar unter René Jacobs in Brüssel, sowie zur Zeit eine Rolle in La Calisto am Nationaltheater München. Sein überaus erfolgreiches Debüt an der Metropolitan Opera in New York fand 2004 mit Händels Rodelinda statt, sowie 2006 die Rolle des Idomeneo. Zwei solistische CD-Produktionen mit Arien von Händel, Dowland, Lawes und Purcell hat van Rensburg bereits aufgenommen. Auch auf der gefeierten Einspielung der Madrigali Guerierri et Amorosi von Monteverdi unter René Jacobs ist er vertreten. Bei den Innsbrucker Festwochen ist Kobie van Rensburg immer wieder gerne zu Gast, zuletzt war er 2005 mit dem Konzert Der Glanz Venedigs gemeinsam mit Dominique Visse zu erleben. f

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Sant’Agnese

ƒ Biografien

Antonio Abete gewann 1993 den As.Li. Co.-Wettbewerb und war danach in Partien wie Don Alfonso, Bartolo, Leporello, Basilio, Masetto und Don Pasquale zu hören. Heute widmet sich der italienische Bassist vor allem dem Barockrepertoire (Oper und Konzert). Dabei arbeitet er mit Dirigenten wie Ivor Bolton, William Christie, Thomas Hengelbrock, Konrad Junghänel, Christopher Hogwood, Jordi Savall und Sigiswald Kuijken zusammen. Unter den Festivalhäusern und Theatern, die ihn verpflichteten, sind u.a.: Opéra Bastille und Théâtre du Chatelet in Paris, Barbican Center in London, Bayerische Staatsoper, Teatro Comunale in Florenz, Gran Teatre del Liceu in Barcelona, Berliner Staatsoper, Concertgebouw in Amsterdam, De Vlaamse Oper in Antwerpen, Théâtre Royal de La Monnaie in Brüssel, Wiener Konzerthaus, Salzburger Festspiele und Festwochen der Alten Musik in Innsbruck. Zu seinen letzten Auftritten zählen Bartolo (Le nozze di Figaro) unter René Jacobs am Théâtre des Champs Elysées Paris sowie Seneca in Monteverdis Poppea an der Pariser Opéra Bastille, in Salamanca und beim Festival Beaune. Mit Alessandro De Marchi arbeitete er bereits für Il barbiere di Siviglia an der Nationale Reis Opera in Enschede sowie für eine preisgekrönte CD-Aufnahme von Vivaldis Orlando finto pazzo zusammen. Weitere CDs sind u.a. Händels Xerxes mit Anne-Sofie von Otter und Jean-Claude Malgoire, Händels Deidamia mit Alan Curtis, Händels Tamerlano mit Trevor Pinnock und Monteverdis Marienvesper mit René Jacobs. Bei den Innsbrucker Festwochen war Abete das letzte Mal 2003 als Plutone in Monteverdis L’Orfeo zu erleben. f

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Sant’Agnese

ƒ Biografien

Die Academia Montis Regalis verdankt ihren exzellenten Ruf auf dem Gebiet Alter Musik neben zahlreichen Konzertauftritten und der umfangreichen Diskographie vor allem der Zusammenarbeit mit internationalen Spezialisten wie Jordi Savall, Christopher Hogwood, Monica Huggett und Alessandro De Marchi. Die rege Konzerttätigkeit in Italien und im Ausland führte das Orchester an die Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom, das Théâtre Municipal Opéra de Lausanne, sowie an das Théâtre des ChampsElysées in Paris. Die Mitwirkung an Bachs Johannespassion am Teatro Reggio in Turin wurde enthusiastisch aufgenommen. Seit 1995 arbeitet das Orchester eng mit dem Label Naivë/Opus 111 zusammen. Derzeit widmet sich die Academia Montis Regalis intensiv der Arbeit mit Vivaldis Autographen in der Turiner Nationalbibliothek für die Gesamteinspielung aller Werke in der Vivaldi-Edition von Opus 111. Die dort erschienene CD des Oratoriums Juditha triumphans wurde von der Presse begeistert aufgenommen und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Die Academia Montis Regalis war zuletzt 2006 mit der Oper Il Re Pastore zu Gast bei den Innsbrucker Festwochen. f

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Sant’Agnese ƒ Synopsis

Sant’Agnese ƒ Inhalt

Act I

Akt I

Agnes, a young girl of twelve, is refusing to marry Flavius, the son of the powerful Town Prefect, as she is convinced that she is already promised to Christ. The Prefect, unable to countenance this refusal amidst social conventions of the time, has the girl condemned by the courts. Agnes’ mother is unable to protect her daughter. She is to be publicly humiliated, her virginity left defenceless and disgraced in a brothel.

Agnes, ein junges Mädchen von zwölf Jahren, möchte sich nicht mit Flavius, dem Sohn des mächtigen Stadtpräfekten vermählen, da es davon überzeugt ist, bereits Christus versprochen zu sein. Der Präfekt, der solch eine Verweigerung gegenüber gesellschaftlichen Konventionen keinesfalls dulden kann, verhängt über das Mädchen den Richterspruch. Auch Agnes’ Mutter kann sie nicht schützen. Zur Demütigung ihrer verteidigten Jungfräulichkeit soll Agnes der Schändung in einem Bordell preisgegeben werden.

Act II Agnes is sunk in prayer, for once full of doubt, and pleads to the stars for comfort. Flavius appears, still hoping for his chance in the light of the court order. But things turn out differently. An inner fire eats up the young lover as soon as he reaches out to touch Agnes. The Town Prefect is beside himself with grief for his son, when Agnes calls Flavius back to life by prayer – the young man now purged of his sin and henceforth a believer in Agnes and Christ. But the Prefect listens to his evil adviser, Aspasius, who is afraid of an uprising amongst the townspeople and believes the return and conversion of Flavius to be the work of a witch. The ignominy of having his will disobeyed, despite his worldly power, takes precedence over the Prefect’s love of his son – and he newly condemns Agnes to the flames into which his desperate son fearlessly plans to follow her. Again Agnes is saved: the flames fall back and do not touch her body. Too many miracles for Aspasius, who grabs his sword and kills the girl. Agnes, mourned by her mother and Flavius, is certain of her eternal life and ascends up into heaven. f 48

Akt II Agnes ist im Gebet versunken, für einen Moment von Zweifeln befallen, bittet sie die Sterne um Trost. Flavius findet sich ein, unter dem Deckmantel des Richterspruches auf seine Chance hoffend. Doch es kommt anders. Ein inneres Feuer verzehrt den verliebten jungen Mann, sobald er Agnes berühren möchte. Der Stadtpräfekt ist vor Schmerz über den Verlust seines Sohnes außer sich, doch holt ein Gebet des Mädchens den bereits Toten ins Leben zurück – geläutert und fortan an Agnes’ Worte und den christlichen Gott glaubend. Doch hier verfällt der Präfekt den Einflüsterungen seines bösen Ratgebers Aspasius, der einen Volksaufstand befürchtet und die Wiedererweckung und Bekehrung des Sohnes nur dem Werk einer Hexe zutraut. Und die Schmach, trotz aller weltlichen Macht nicht seinen Willen durchsetzen zu können, besiegt im Präfekten sogar die Fürsorge für Flavius – ein neuerliches Urteil überantwortet Agnes den Flammen, in die der verzweifelte Sohn die Geliebte todesmutig begleiten will. Doch auch diesmal wird Agnes gerettet: Die Flammen weichen vor ihr zurück und versengen ihren Körper nicht. Zuviel Wunder in den Augen des Aspasius, der daraufhin selbst zum Schwert greift und das Mädchen tötet. Doch Agnes, betrauert von ihrer Mutter und Flavius, ist sich der Ewigkeit sicher und geht in den Himmel ein. f 49

Bernardo Pasquini

Sant’Agnese (Rom, 1677)

Personen: Flavio (Counter-Tenor) Prefetto (Bass) Madre di S. Agnese (Sopran) S. Agnese (Sopran) Aspasio (Bariton)

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Sant’Agnese ƒ Prima Parte

Sant’Agnese ƒ Erster Teil

Prima parte

Flavio





Tal di Quirin su le famose arene, ove il temuto padre del gran Giove Romano occupa il trono, leggi prescrivo e prigioniero io sono: che per ordirmi al cor dure catene, fabbro d’inganni Amore, con lucide rapine ad Agnese involò gl’ori del crine.

Chi nasce agl’imperi con l’aure vitali respira i piaceri in cune reali, l’accoglie il diletto se il mondo soggetto nascendo mirò. Le mete ai contenti prefigge sua brama, ma poscia ai tormenti se Amore lo chiama gioisca se può.

Prefetto Flavio diletta prole, qual d’occulto martir nube funesta turba il seren del core e l’alma infesta? Se di tesori e gemme vago il desio si duole, nell’Indiche Maremme suddite al tuo voler l’albe stillanti preziosi per te versano i pianti.

Erster Teil

Flavius

Wer als Herrscher geboren wird, atmet mit der lebenspendenden Luft schon in der königlichen Wiege reine Freude. Der Genuß empfängt ihn, wenn die Welt bei seiner Geburt ihm unterworfen ist. Ziel seiner Wünsche ist die Freude. Aber wenn Amor ihm zuwinkt, wird auch er wegen der Liebesqual Kummer leiden müssen.

Und so erlasse ich in den berühmten Gefilden des Quirinus, (1) wo der gefürchtete Vater den Sitz des Juppiters Romanus einnimmt, Gesetze, bin aber selbst gefangen. Um mein Herz in harten Ketten zu fesseln, hat der trügerische Amor Agnes ihr goldenes Haar geraubt und sich dessen bedient.

Präfekt Flavius, mein liebes Kind, welche unheilbringende Wolke trübt dein heiteres Herz und vergiftet deine Seele? Wenn du dich nach Schätzen und Edelsteinen sehnst, wird in Indien die Morgenröte, deinen Wünschen fügsam, kostbare Tränen für dich vergießen.

(1)

Der alte, auf dem Quirinal wohnende Stammeskriegsgott der Sabiner, der zum Teil dem griechischen Ares, bzw dem römischen Mars entspricht.

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Wir bitten Sie, leise umzublättern. 53

Sant’Agnese ƒ Prima Parte

Flavio



Vaghe gemme che dal gelo diffondete i rai lucenti ricche perle che del Cielo siete lacrime ridenti, la beltà che’l sen m’accese come oscura i vostri vanti, se al fulgor che sparge Agnese ombre son perle e diamanti.

Prefetto Se t’offre il crin Fortuna, se a stabilirti honori d’ogni stella gl’influssi il Cielo aduna, se leggi imponi alla beltà che adori, perché nel fosco ciglio di sognato martir s’aggira un’ombra? Spera, deh spera o figlio, che d’Imeneo la face d’ogni cura mordace il vel disgombra. Quando un’alma difeso rimira lo scettro che stringe da sorte fedel, se tra gl’ostri e le pompe sospira il fato costringe a farsi crudel. Chi tra lampi di soglie gemmate col pianto distrugge la gioia del sen, sembra un’angue con spoglie dorate che i fiori che sugge converte in velen.

Sant’Agnese ƒ Erster Teil

Flavius

Schöne Kleinode, aus eurer Kälte verbreitet ihr strahlendes Licht, kostbare Perlen, ihr seid des Himmels lächelnde Tränen. Agnes aber, die mein Herz entflammt, verdunkelt eure Pracht, wenn beim Glanz, den die Schöne verbreitet, Perlen und Diamanten zu Schatten werden.

Präfekt Wenn Fortuna, um nach ihr zu greifen, dir ihren Haarschopf bietet, (2) wenn der Himmel, um dich zu verehren, die guten Einflüsse aller Sterne sammelt, wenn du durch Gesetze über deine Schöne bestimmen kannst, wieso trübt ein qualvoller Schatten deine Augen? Mein Sohn, gebe die Hoffnung nicht auf: Bald wird Hymenaios (3) mit seiner Hochzeitfackel den Schleier dieses beißenden Kummers zerreißen.



Wenn man sieht, dass das Zepter, das man fest in der Hand hält, von treuem Schicksal beschützt wird, und man trotzdem inmitten von Prunk vor Kummer seufzen muss, ist es das Schicksal, dass einen zwingt grausam zu sein. Wer umgeben von strahlendem Reichtum seine Freude durch Tränen zerstört, ähnelt einer goldenen Schlange, die die verschluckten Blumen in Gift verwandelt.

(2)

Der Kopf der Glücksgöttin Fortuna hatte vorne Haare, war aber hinten kahl, so dass man keine Gelegenheit hatte, nach ihr zu greifen, wenn sie einem den Rücken zuwandte. Daher auch die Redewendung „Das Glück beim Schopf packen“.

(3)

„Imeneo/Hymenaios“: Der Hochzeitsgott Hymenaios, traditionell mit einer Fackel dargestellt.

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Sant’Agnese ƒ Prima Parte

Sant’Agnese ƒ Erster Teil

Madre Qui dove bagna il Tebro l’augusto piede alla città di Marte o quante gratie il Cielo Agnese, amata figlia a noi comparte. Ma dal materno zelo tali stimoli io provo, onde non sento, colma di tante gioie il cor contento.

Mutter Agnes, geliebte Tochter, oh welche Gunst erteilt uns der Himmel in Rom, der erhabenen Stadt, durch die der Tiber fließt. Aber der mütterliche Eifer lässt, trotz der großen Freude, mein Herz kein Glück empfinden.

S. Agnese Svela o Madre, deh svela qual trafigga il tuo cor pensier tiranno, si scema il duol col palesar l’affanno.

Heilige Agnes Sag mir, Mutter, sag mir: Welcher grausame Gedanke quält dein Herz? Wenn man von seinem Leid spricht, wird der Schmerz gelindert.

Madre Di falsi Numi a stabilir la sede regge mostro infernal scettro inumano e su l’altar d’un idolo profano svena di Christo empio rigor la fede. Se Cesare t’impone offrir a sordi marmi arabi fumi, in sì fiera tenzone come celar potrai legge e costumi?

Mutter Ein höllisches Monster mit unmenschlichem Zepter hat das Bestehen falscher Götter bestimmt, und opfert mit ruchloser Härte auf dem Altar eines heidnischen Abgottes den christlichen Glauben. Wenn der Kaiser befiehlt, taube Marmorwerke mit arabischem Weihrauch zu verehren, wie wirst du dann in diesem schwierigen Kampf deine Gesetze und deine Gebräuche verbergen können?









Angesichts eines Tyrannen nützt es nichts, sich zu verstellen. Deswegen rauben mir fürchterliche Gedanken, wie das stürmische Meer einem mutigen Schiff, den Frieden.



Se ne l’arco d’un orrido ciglio il trionfo spiegò l’empietà, fredda tema di pronto periglio ogni core soggetto si fa. Agl' assalti di barbaro sdegno cede vinto ogni sesso ogni età. Chi di stragi fa base al suo regno non distingue virtude o beltà.

A fronte d’un tiranno invan si finge, onde a me si dipinge crudo pensiero ad involar mia pace in procelloso mar qual pino audace.

S. Agnese Come in serena calma fia che rimanga un cor fedele assorto ove nocchiero è l' alma cinosura la Croce, il Cielo è porto. 56

Wenn das furchteinflößende Auge mit dem Triumph auch Grausamkeit ausdrückt, wird jedes Herz von der Angst vor naher Gefahr gelähmt. Jeder Mensch, gleich welchen Geschlechtes oder welchen Alters, unterliegt denjenigen, die barbarische Macht ausüben. Wer seine Herrschaft auf Zerstörung basiert, achtet nicht auf Tugend oder Schönheit.

Hlg. Agnes Wie ein Schiff auf ruhiger See wird ein treues Herz standhaft bleiben: Wenn die Seele Steuermann ist und das Kreuz leitender Stern, ist der Himmel dein Hafen.



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Sant’Agnese ƒ Prima Parte

Sant’Agnese ƒ Erster Teil

Madre Pavento

Mutter Ich fürchte mich…

S. Agnese Di che?

Heilige Agnes Wovor?

Madre In grembo al tormento

Mutter Inmitten von Kummer…

S. Agnese trionfa la fé.

Heilige Agnes triumphiert der Glaube.

Madre Inerme è il tuo petto

Mutter Deine Brust ist unbeschützt…

S. Agnese mio scudo è virtù.

Hlg.Agese mein Schutzschild ist die Tugend.

Madre D’un empio l’aspetto

Mutter Angesichts eines Frevlers…

S. Agnese serena Giesù.

Heilige Agnes gibt mir Jesus die Ruhe.

Madre Fra dure ritorte

Mutter In Ketten gelegt…

S. Agnese si pena un momento.

Heilige Agnes wird die Qual vorbeigehen.

Madre A fronte di morte

Mutter Vor dem Tod…

S. Agnese s’avviva il contento.

Heilige Agnes belebt mich die Freude.

Madre Ma se il timor non fa mendace il guardo, del Preside crudel non lungi io veggo l’altera prole e il consiglier malvagio: fuggi o figlia il tuo scempio, che espresso in fronte al fiero Aspasio io leggo

Mutter Aber wenn die Angst mich nicht täuscht, sehe ich wie sich der hochmutige Sohn des grausamen Präfekten und sein übler Vertrauter sich nähern: Fliehe, meine Tochter, vor der Gefahr, denn ich erkenne im Gesicht des bösen Aspasius

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Sant’Agnese ƒ Prima Parte



il sembiante d’un empio: qual d’acceso vapor torbido crine sparge là dove appar certe ruine.

Sant’Agnese ƒ Erster Teil



all seine Ruchlosigkeit, die gleich einem düsteren Dunst sicheres Verderben verbreitet wo sie auch erscheint.

Aspasio Flavio qual fosco velo d’insolito dolor t’adombra il volto? È forse stanco il Cielo di piover sul tuo crin gioie e contenti?

Aspasius Flavius, der dunkle Schleier eines nie gesehenen Schmerzes überschattet dein Gesicht. Will dich der Himmel denn nicht mehr mit Freude und Glück beschenken?

Flavio Aspasio, oh Dio, consenti, ch’io viva in grembo al mio dolor sepolto.

Flavius Ach Aspasius, lass mich doch in meinem Schmerz begraben sein.

Aspasio Vanti la sorte alle tue brame ancella e pur folle sospiri?

Aspasius Du kannst dich rühmen, das Glück als Diener deiner Wünsche zu haben, und doch seufzt du, du törichter Mensch?

Flavio La mia sorte rubella mi condanna ai martiri se con lucido crin l'alma flagella.

Flavius Das widrige Schicksal verurteilt mich zu Qualen, wenn es mit leuchtendem Haar meine Seele geißelt.

Aspasio Non ha vicende il Fato ove il voler d’un grande è legge espressa!

Aspasius Das Schicksal bestimmt nicht die Ereignisse, wo der Wille eines mächtigen Menschen Gesetz ist!

Flavio E pur l’alma servile forza non ha per dominar se stessa.

Flavius Und doch besitzt die geknechtete Seele über sich selbst keine Macht.

Aspasio Cede a cura sì vile del Preside latin l’inclito germe?

Aspasius Der erhabene Sohn des römischen Präfekten ist diesem niedrigen Gefühl unterworfen?

Flavio Abbatte ogni valor bellezza inerme.

Flavius Eine unbewaffnete Schönheit schlägt jede Tapferkeit.

Aspasio Dunque d’amore avvampi?

Aspasius Die Liebe ist also in dir entbrannt?

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Sant’Agnese ƒ Prima Parte

Flavio

Ardo d’amore è vero ai vaghi lampi del bel volto d’Agnese e al chiaro lume su l’ali del pensiero il core amante, farfalla ardita incenerì le piume.

Sant’Agnese ƒ Erster Teil

Flavius Es ist wahr: Ich brenne vor Liebe bei den schönen Augen der reizenden Agnes und in deren klarem Licht verbrennt sich, wie ein kühner Schmetterling, auch mein liebendes Herz auf den Flügeln seiner Gedanken.

Aspasio Di tue brame al dolce impero la beltà che ti dié morte offre il cor già prigioniero se l’innalza altera sorte oltre i voli del pensiero. Non si duole irata Flora se di rose più vermiglie Cielo amico il crin gl’infiora, non ricusan le conchiglie i bei pianti dell’aurora. Prefetto Non più sospiri, o figlio, ecco sen’ viene chi del tuo cor può raddolcir le pene.

Präfekt Seufze nicht mehr, mein Sohn! Sieh, da kommt gerade diejenige, die das Leiden deines Herzens mildern kann.

Flavio

Flavius Meine Schöne, im Schmerz, den ich in meinem Herzen zu verbergen versuche, erkenne die Macht deiner Anmut, so wie der Himmel in deiner Schönheit seine eigene Schönheit erkennen kann.

Bella, nel duol ch’entro al mio petto io celo scorgi il dolce poter di tua vaghezza come rimira il Cielo nelle sembianze tue la sua bellezza.

S. Agnese Se il Ciel ver me lucidi sguardi affisa, ne’ falli miei la sua pietà ravvisa. Vaga rosa che fastosa nell’alba nutrì folle speme di vita immortale, tosto langue che il raggio vitale Febo asconde all’occaso del dì e disperse le pompe del crine fa di spine 62

Aspasius Wenn ein kühnes Schicksal die Schöne, die dich peinigt über alle Vorstellung hinaus erhöht, wird sie ihr gefangenes Herz der süßen Macht deiner Wünsche überlassen. Wenn der wohlwollende Himmel die Haare der Flora noch mehr mit Rosen beschmückt, zeigt sie sich sicher nicht zornig, und die Muscheln lehnen die Perlen nicht ab, die wie schöne Tränen der Morgenröte aussehen.

Heilige Agnes Wenn der Himmel mich trotz meiner Fehler mit glänzenden Blicken anschaut, zeigt er sein Erbarmen.





Die schöne Rose, die voller Freude beim Sonnenaufgang die törichte Hoffnung hatte, ewig zu leben, vergeht sofort, sobald die Sonne abends ihre lebenspendenden Strahlen versteckt. Wenn sie die Pracht ihres Hauptes verloren hat, bleibt ihre Schönheit unter Dornen begraben. 63

Sant’Agnese ƒ Prima Parte





all’estinta vaghezza il feretro: sia specchio un fiore a una beltà di vetro. Quel ruscello, che rubello sua cuna sprezzò sommergendo del prato i tesori, tosto manca ch’in seno di Dori la superbia dell’onde domò e se lascia tra piagge tranquille poche stille, vivo raggio di sole l’adduge: sia specchio un rivo a una beltà che fugge.

Flavio

Mortal non è chi nel bel guardo avviva, cifre d’eternità, gl’astri del Polo; Flavio sol per te langue e brama solo meta del suo penar tua stabil fede. Onde a me si prescriva o il gel di morte o d’Imeneo le tede.

Sant’Agnese ƒ Erster Teil





Diese Blume soll Spiegelbild einer zerbrechlichen Schönheit sein. Jener Bach, der aufrührerisch das Flussbett verlässt und die Schätze der Wiesen überflutet, vergeht sofort, sobald er ins Meer mündet (4) und der Hochmut seiner Wogen gezähmt wird. Und selbst wenn er auf dem ruhigen Strand einige Tropfen hinterlässt, werden diese in den heißen Strahlen der Sonne verdunsten. Dieser Bach soll Spiegelbild einer vergänglichen Schönheit sein.







Flavius Unsterblich ist derjenige, der durch seinen schönen Blick den Strahl der ewigen Sterne des Himmels wiedergibt: Nur für dich schmachtet Flavius und er sehnt sich am Ende seines Kummers nur nach deiner Treue. Mir ist entweder der Tod vorgeschrieben oder die Hochzeit mit dir. (5)

S. Agnese Se il più candido fiore, di pudica onestà germe innocente, al Sovrano Motore offr’io, pegno d’amor mia fede ardente come, come poss’io per darlo ad huomo fral ritorlo a Dio?

Heilige Agnes Wie könnte ich die reinste Blume der unschuldigen Keuschheit, die ich Gott, dem höchsten Lenker des Universums, als Zeugnis meiner Liebe und meiner glühenden Treue widme, zurücknehmen, um sie einem sterblichen Mann zu geben?

Aspasio Con voci di contenti Amor t’invita alle grandezze al soglio, e pur l’alma smarrita del tuo ciglio sereno eclissa i rai; o Ciel chi vide mai

Aspasius Voll Freude lädt dich Amor zur Pracht und Macht ein, und doch lässt die verwirrte Seele das Licht deiner heiteren Augen verblassen. O Gott, wer hat schon einmal einen Steuermann gesehen,

(4)

Im italienischen Text „Dori“: Eine der Okeaniden (Nymphen). Hier steht der Name synonym für das Meer.

(5)

„Imeneo/Hymenaios“: Der Hochzeitsgott Hymenaios, traditionell mit einer Fackel dargestellt.

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Sant’Agnese ƒ Prima Parte



nocchier che il fiero orgoglio vinse d’ogn’Austro infido, valicati gl’Egei perir nel lido?

Sant’Agnese ƒ Erster Teil



der zwar den heftigen Hochmut der stürmischen und gefährlichen Winde besiegt (6) und die Meere durchfahren hat, aber dann, direkt vor der Küste untergeht.

S. Agnese Nuda balza che in seno nasconde miniere feconde di biondo tesor, paga sol dell’interna ricchezza, i fregi disprezza dell’erbe, dei fior. Così serti fugaci al crin non chiede chi nell’alma racchiude oro di fede.

Heilige Agnes Einem kahlen Felsen, der in sich verbirgt Erzadern reich an Gold, ist sein innerer Reichtum genug und er verachtet die Zierde von Pflanzen und Blumen. Genauso sehnt sich wer in seiner Seele das Gold des Glaubens bewahrt, nicht nach vergänglichen Kronen.

Prefetto Già che sdegna il tuo petto di Fortuna e d’Amor le faci e gl’ostri, involati al mio aspetto e di Vesta nei chiostri tra volontari affanni traggi vedovi i dì, sterili gl’anni.

Präfekt Wenn dein Herz Glück, Liebe und Prunk verschmäht, lass dich nicht mehr hier blicken: Gehe in den Tempel von Vesta (7) und verbringe unter frei erwähltem Kummer dein Leben allein und fruchtlos.

S. Agnese Per dar fregi innocenti col virginal mio giglio all’alma, ai sensi fia chiostro il sen pudico, ai marmi algenti arda culto infedel profani incensi.

Heilige Agnes Mein keusches Herz wird der Tempel sein, wo ich meiner Seele und meinen Gefühlen die Lilie meiner Jungfräulichkeit als unschuldige Zierde geben werde. Heidnische Kulte und Weihrauch gelten kalten Marmorstatuen.

Flavio

Flavius Es ist wahr: Ich verehre Marmorstatuen. Amor befiehlt es meiner Seele, die Sklavin deines Willen ist, weil dein Herz, Urne meiner Hoffnung, wie ein Marmorstein ist, oh du meine Schöne.

Adoro i marmi è vero, ché insegna all’alma al tuo volere ancella i freddi marmi idolatrare Amore, se nel tuo seno o bella urna della mia speme un marmo è il core.

(6)

Im italienischen Text „Austro“: Der gefährliche, stürmische Südwind. (7)

Vesta: Römische Göttin, die der griechischen Estia entspricht, Beschützerin der Familie, des Hauses und des Staates; die Priesterinnen ihres Tempels waren ihr geweihte Jungfrauen, die Vestalin genannt wurden.

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Sant’Agnese ƒ Prima Parte

Sant’Agnese ƒ Erster Teil

Prefetto

Un delirio inevitabile destar deve entro al mio core la sopita crudeltà. Alimenti ira implacabile, l’arco impugni di fiero rigore nel mio petto schernita pietà.

Präfekt

Unausweichliche Wut soll die unterdrückte Grausamkeit in meinem Herzen erwecken. Verhöhnte Zuneigung soll in meiner Brust unerbittlichen Zorn anfachen und mit grausamer Strenge den Bogen spannen.





Una fiamma inestinguibile con la vita d’un’infida strugga ancora un’empia fé. Soffrirà scempio insoffribile nel rigore di pena omicida chi del Cielo ribelle si fé.





Unauslöschliches Feuer soll zusammen mit dem Leben der untreuen Frau ihren frevlerischen Glauben zerstören. Durch die Strenge der tödlichen Strafe wird diejenige, die sich dem Himmel widersetzt, unerträgliche Qualen erleiden.



Chi spettatrice Roma non curò dei suoi fasti, tra impure frine entro lascive soglie, esposta all’altrui voglie, spettacolo divenga a Roma, al Mondo. Folle se disprezzasti, non che prospera sorte, i Numi istessi; il tuo seno pudico ben tosto diverrà teatro immondo e nell’incolta chioma succederanno ai mirti atri cipressi.



Diejenige, die auf den Prunk von Rom blickte ohne ihn zu würdigen, wird in einem Bordell unter anderen Dirnen der Begierde anderer ausgesetzt sein, und somit wird sie selbst zum Schauspiel für Rom und für die Welt werden. Du Törichte, du hast das wohlgesonnene Schicksal und die Götter verschmäht: Nun wird deine keusche Brust sehr bald zu einem unreinen Schauplatz werden und dein zerraufter Kopf wird mit düsteren Zypressen, und nicht mit Myrte umkränzt sein.

Flavio

Così del suo cordoglio sarà dura cagione un cor di scoglio. Di tua fé delirante con più saggio desio l’error correggi: mira delle tue leggi già reso è il Tebro adorator costante.

Flavius So wird das steinharte Herz der bittere Grund seines eigenen Leidens sein. Durch vernünftige Wünsche sollst du den Fehler deines verrückten Glaubens verbessern. Schau hin: Rom beginnt schon den Gesetzen deines Glaubens treu zu folgen.

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Sant’Agnese ƒ Prima Parte





Nel tuo volto bandito il rigore splenda un raggio d’amica pietà che d’un Sole all’amato splendore nova Clitia il mio core sarà. Agl’albori di dolce speranza dal mio seno sparisca il timor e trionfi un’invitta costanza dell’asprezza di rigido cor.

Sant’Agnese ƒ Erster Teil





Verbanne die Strenge: Auf deinem Antlitz soll ein Strahl wohlwollender Liebe erleuchten und so wird mein Herz beim geliebten Glanz seiner Sonne wie eine neue Clitia sein. (8) Der Beginn einer süßen Hoffnung lässt die Angst aus meinem Herzen entschwinden und meine unbesiegte Beständigkeit soll über dein hartes Herz triumphieren.

S. Agnese Del Tebro apprendo al mormorar fugace che ciò che alletta e piace qual’onda fugge e che l’human desio pace non ha se non la cerca in Dio.

Heilige Agnes Vom flüchtigen Rauschen des Tibers lerne ich, dass das, was gefällt und erfreut schnell vorbeigeht wie eine Welle und dass das menschliche Verlangen nur Zufriedenheit findet wenn man sie bei Gott sucht.

Flavio Udisti a qual oltraggio te stessa esponga il tuo voler sì crudo.

Flavius Du hast doch gehört, welcher Schändung dein so sturer Wille dich aussetzen wird.

S. Agnese D’inerme purità la Croce è scudo.

Heilige Agnes Das Kreuz ist Schutzschild einer unbewaffneten Reinheit.

Flavio La gloria

Flavius Der Glanz…

S. Agnese è fugace.

Heilige Agnes ist vergänglich.

Flavio La madre

Flavius Die Mutter…

S. Agnese l'oblio.

Heilige Agnes an sie kann ich nicht denken.

Flavio La fama

Flavius Der Ruhm…

(8)

Clitia: Eine Nymphe, zuerst von Apollogeliebt, dann aber wegen ihrer Eifersucht von ihm verstoßen. Sie verbrachte danach ihre Tage immer mit dem Blick auf den vorüberziehenden Sonnenwagen des Apollo geheftet, bis sie sich von Kummer verzehrt in die Sonnenblume verwandelte. 70

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Sant’Agnese ƒ Prima Parte

Sant’Agnese ƒ Erster Teil

S. Agnese è mendace.

Heilige Agnes ist trügerisch.

Flavio Lo sposo

Flavius Der Bräutigam…

S. Agnese è il mio Dio.

Heilige Agnes ist mein Gott.

Flavio

Flavius Verrückter Wunsch einer hartnäckigen Seele; wieso empfindet dein eiskaltes Herz angesichts meines Kummers nicht einen Funken von Liebe?

O folle desio, d’ un' alma crudel! E come non sente a tanti sospiri favilla d’amore un core di gel?

S. Agnese Vaneggi, deliri.

Heilige Agnes Du bist außer dir, du redest wirr.

a due A tanti sospiri

beide Angesichts dieses Kummers

Flavio e come non sente

Flavius wieso empfindet es nicht

S. Agnese no no che non sente

Heilige Agnes nein, nein, es empfindet nicht

a due favilla d’amore

beide einen Funken von Liebe

Flavio un core di gel S. Agnese il core di gel.

Flavius dein eiskaltes Herz Heilige Agnes das eiskalte Herz.

Flavio O folle desio

Flavius Oh verrückter Wunsch

S. Agnese O saggio desio

Heilige Agnes Oh vernünftiger Wunsch

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Sant’Agnese ƒ Prima Parte

Sant’Agnese ƒ Erster Teil

Flavio d’un’alma crudel.

Flavius einer hartnäckigen Seele

S. Agnese d’un’alma fedel.

Heilige Agnes einer treuen Seele.

Flavio I Numi

Flavius Die Götter…

S. Agnese che sono?

Heilige Agnes welche?

Flavio Gli scherni

Flavius Die Verhöhnung…

S. Agnese li bramo.

Heilige Agnes ich sehne mich danach.

Flavio Il rogo

Flavius Der Scheiterhaufen…

S. Agnese è il mio trono.

Heilige Agnes ist mein Thron.

Flavio La morte

Flavius Der Tod…

S. Agnese la chiamo ché nel mortal periglio brama innesti di palme un puro giglio.

Heilige Agnes ich rufe ihn herbei, weil sich eine reine Lilie in tödlicher Gefahr nach einem glorreichen Tod sehnt.

- Fine della prima parte -

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- Ende des ersten Teils -

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Sant’Agnese ƒ Seconda Parte

Sant’Agnese ƒ Zweiter Teil

Seconda parte

Zweiter Teil

S. Agnese Vaghe stelle che splendete, care mete di mia pace, di quel Sole opre voi siete al cui raggio il cor si sface. Ma ben che siate al core cinosure fedeli, io priva di conforto sospiro oh Dio fra le procelle il porto. Voi del Ciel spirti amorosi dal suo fren l’alma sciogliete che già mira i suoi riposi nelle sfere che volgete.

Heilige Agnes Schöne Sterne, die ihr strahlt, ihr seid das geliebte Ziel, um den Frieden zu finden. Ihr seid entstanden durch jene Sonne, bei deren Licht mein Herz vergeht. Aber obwohl ihr die treuen, leitenden Sterne meines Herzens seid, sehne ich mich, hilflos, oh Gott, mitten im Sturm nach dem Hafen. Ihr liebevollen Himmelsgeister, befreit meine Seele von den irdischen Zwängen, die ihren Frieden in den von Euch gelenkten Himmelssphären schon erblickt.

Flavio Amore ove mi guidi e in qual di ciechi orrori impuro laberinto per vagheggiar un sol Flavio s’aggira? Forse il cor che delira qui crede, oh Dio di fosche larve cinto, l’ombra veder del suo dolore estinto. Piango, peno, sospiro, avvampo e gelo, ma d’ammollir quel cor non si dan vanto pene, gelo, sospiri, ardori e pianto. Non imperano i regnanti quando han suddito il voler; quella fiamma che vorace può distrugger l’altrui pace entro il sen de' folli amanti si fa rogo del piacer. Spesso un’alma in regio seno prigioniera è del dolor; se d’ardori un cor si pasce il diletto ha tomba in fasce,

Flavius Amor, wohin führst du mich und durch welches unzüchtige Labyrinth voller düsterer Schrecken geht Flavius, um nach seiner Sonne zu suchen? Oh Gott, in seinem Delirium glaubt vielleicht das Herz, hier unter anderen Schatten, das Ende seines Schmerzes wie eine Erscheinung zu sehen. Ich weine, quäle mich, seufze, entbrenne und erfriere, aber weder Qual noch eisige Kälte, Seufzer, feuriger Eifer oder Tränen können Agnes Herz erweichen.

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Die Mächtigen können nicht herrschen, wenn ihr Wille geknechtet ist. Jenes gierige Feuer, das den Frieden zerstört, wird in den Herzen der törichten Liebhaber zum Scheiterhaufen der Freude.





Selbst bei Königen ist die Seele oft Gefangene des Leides. Wenn die Leidenschaft ein Herz nährt, hört die Freude bald auf, weil Amor dort, Wir bitten Sie, leise umzublättern. 77

Sant’Agnese ƒ Seconda Parte





ch’ove sparge il suo veleno crude morti infonde Amor.

Sant’Agnese ƒ Zweiter Teil





wo er seine Gifte verbreitet, grausamen Tod verursacht.

S. Agnese Flavio tra queste soglie? Empio cimento Agnese a te s’appresta. Per sottrarmi all’oltraggio di lascivo ardimento, sposo immortale, il tuo favore invoco: in quest’ombra funesta, mio Dio deh splenda un raggio di quell’eterno foco, che ministro fatal d’amore e d’ira al giusto è cinosura, all’empio è pira.

Heilige Agnes Flavius, hier? In welcher schlimmen Gefahr, befinde ich mich bloß? Um der Schändung durch lasziven Übermut zu entgehen, bitte ich dich um Hilfe, Jesus: In diesem unheilvollen, düsteren Ort, oh du mein Gott, lasse einen Strahl jenes ewigen Lichtes leuchten, das als unabwendbarer Ausdruck von Liebe oder Zorn für den Gerechten Heil und für den Frevler den Tod bedeutet.

Flavio

Flavius Welches Feuer brennt plötzlich in meiner Brust? Welcher brennende Pfeil verwundet und entzündet mein Herz, blendet die Augen? Oh Götter, beschützt mich, Hilfe! Aus Angst und Leiden erfriere und entbrenne ich gleichzeitig.

Ma qual fiamma improvvisa il sen m’accende? Qual infocato dardo fere il petto, arde il cor, abbaglia i lumi? Soccorso, aita, o Numi; di timore e d’affanno agghiaccio ed ardo.

S. Agnese Il castigo del Ciel non giunge tardo.

Heilige Agnes Die Strafe Gottes kommt nicht zu spät.

Flavio

Flavius Beute einer heftigen Flamme, jede Kraft vergeht in mir und die leidende Seele kann das schwache Herz nicht mehr am Leben halten.

Esca di vampa ardente, ogni spirto in me langue e quest’alma dolente niega gl’usati uffici al seno esangue.

Prefetto Occhi miei, che mirate? O figlio, o Dio Sogno, veglio, vaneggio? Flavio preda di morte? O Ciel che veggio? Se l’acerbo mio fato sì vago germe in sul fiorir recide, come il dolor, perch’io gli mora al lato, reso Parca pietosa hor non m’uccide?

Präfekt Was sehe ich da? Mein Sohn, oh Gott, träume ich, bin ich wach, oder bin ich irre? Flavius, Beute des Todes? Oh Himmel was sehe ich da? Wenn das bittere Schicksal eine so schöne Knospe bei ihrem Aufblühen bricht, wieso lässt mich der Schmerz als mitleidige Parze (9) jetzt nicht zusammen mit meinem Sohn sterben?

(9)

78

Die drei Parzen, die für das menschliche Schicksal standen, hielten den Faden des Menschenlebens symbolisch in ihren Händen. Klotho spann ihn, Lachesis maß ihn, und Atropos schnitt ihn ab. 79

Sant’Agnese ƒ Seconda Parte





Ma se indelebili gl’affanni asprissimi son del mio cor, mie luci flebili su disciogliete fiumi amarissimi e sommergete il mio dolor. E se col piangere non si disanima pena mortal, perché per frangere nodo che lega nel petto l’anima l’ali non spiega Cloto il suo stral?



Ma già ch’a me si toglie dar fin con la mia morte al mio martire, tutte del cor le doglie stimolo di vendetta hor cangi in ire. In te Circe spietata, empia Medea l’ira cadrà se del mio duol sei rea.

Sant’Agnese ƒ Zweiter Teil





Wenn solch grausamer Schmerz meines Herzens unauslöschlich ist, sollen meine ermatteten Augen Flüsse von bitteren Tränen vergießen, um meinen Kummer zu überfluten. Und wenn diese tödliche Pein mich nicht durch das Weinen umbringt, wieso Cloto durchtrennt nicht den Knoten, der die Seele in meiner Brust fesselt, mit einem Hieb? (10)

S. Agnese Punir seppe il mio Dio che de' mortali su la libra d’Astrea l’opre misura col gel di morte un’impudica arsura.

Aber da es mir verweigert wird, meinen Schmerz mit dem Tod zu beenden, soll nun der Stachel der Rache das ganze Leid meines Herzens in Zorn verwandeln. Und dich, du grausame Circe, du böse Medea, weil du Schuld an meinen Kummer trägst, wird mein Zorn treffen. Heilige Agnes Mein Gott, der mit der Waage der Asträa (11) die Taten der Menschen abwägt, hat mit dem eiskalten Tod eines Unzüchtigen seinen Durst bestraft.

Prefetto Quel Nume in cui delle rotanti sfere sogna culto infedel l’alto governo, il cui potere eterno altre mete non ha ch’il suo volere renda se può di sua possanza in segno, renda al paterno amor sì caro pegno.

Präfekt Jener Gott, der nach eurem irrsinnigen Glauben das Universum lenkt, dessen ewige Macht kein anderes Ziel hat, als seinen Willen, soll mir, wenn er kann, als Zeichen seiner Macht das teure Objekt meiner väterlichen Liebe zurückgeben.

(10)

Klotho: siehe abschnitt.

(9),



eigentlich war es Atropos, die den Lebensfaden

(11)

Asträa: Einer Überlieferung nach war sie eine Tochter des Zeus und der Themis. Sie symbolisierte die Gerechtigkeit.

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Sant’Agnese ƒ Seconda Parte

Sant’Agnese ƒ Zweiter Teil

S. Agnese Signor s’humil preghiera figlia di pura fé nella stellata sfera mai conseguì mercé, la tua clemenza i voti miei secondi. Scuopri la tua potenza, togli a morte le prede e i rei confondi.

Heilige Agnes Herr Gott, wenn eine demütige Bitte als Ausdruck meiner reinen Treue, in den himmlischen Sphären auf deine Gunst hoffen kann, erfülle mit deiner Gnade meine Bitte: Zeige deine Macht, entwende dem Tod seine Beute und demütige damit die Frevler.







Se mai sovra le stelle priego mortal volò, spirare aure novelle gelato sen vedrò. Ai miei desiri tua gratia o Dio diffondi, accogli i miei sospiri, fredde spoglie ravviva e i rei confondi.



Wenn die Bitte einer Sterblichen in den Himmel jenseits der Sterne geflogen ist, werde ich sehen, wie eine durch die Kälte des Todes erstarrte Brust wieder atmet. Herr Gott, erfülle mit deiner Gnade meine Wünsche, erhöre meine Seufzer, gib einem Toten das Leben wieder und demütige damit die Frevler.

Prefetto Ma qual novo portento il guardo ammira, son desto oppur la speme cari sogni dipinge al cor che geme? Figlio dal tuo bel volto sì ch’io veggio sparir l’ombre mortali, porgon l’aure vitali moto alle membra esangui e i dolci accenti che da’ tuoi labbri ascolto, già richiamano in vita i miei contenti

Präfekt Welches neues Wunder erblicke ich, bin ich wach, oder ist es die Hoffnung, die dem leidenden Herzen schöne Träume ausmalt? Mein Sohn, es ist doch wahr: der Schatten des Todes entschwindet von deinem schönen Gesicht, das Leben gibt deinem blassen Körper neue Kraft und die süßen Worte, die ich aus deinen Lippen höre, lassen meine Freude wieder auferstehen.

Flavio Immenso Dio che sol te stesso intendi, e in conoscer te stesso nume produci a te medesmo eguale e mentre al tuo riflesso di reciproco amor le fiamme accendi, spira quel dolce ardor spirto immortale, tu sei del Ciel sulla gemmata sede, base all’eternità, meta alla fede.

Flavius Unendlich großer Gott, der du allein dich selbst begreifst und Göttlichkeit, die dir ähnelt erzeugst: Du entzündest das Liebesfeuer, das dein eigenes widerspiegelt und diese süße Leidenschaft erweckt dabei den unsterblichen Geist. Auf dem strahlenden Thron im Himmel, bist du Ursprung der Ewigkeit und Ziel des Glaubens.

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Finché un’alma i suoi fulgori cela in limiti penosi di caduca humanità,





Solange die Seele ihren Glanz in den schmerzlichen Zwängen der vergänglichen menschlichen Natur verbirgt, 83

Sant’Agnese ƒ Seconda Parte





con fantasmi tenebrosi idear non può tesori di serena eternità.

Sant’Agnese ƒ Zweiter Teil





kann sie sich, abgelenkt von düsteren Gespenstern, nicht den Reichtum einer seligen Ewigkeit vorstellen.

Prefetto Di mie pene crudeli sgravato appena il tormentoso incarco, con accenti infedeli figlio a novo dolor tu m’apri il varco.

Präfekt Oh mein Sohn, kaum war ich von der schweren Last meines grausamen Kummers befreit, da verursachst du mit deinen ungläubigen Worten neues Leiden.

Aspasio Signor non più dimore, ch’ai ministri del Tempio il volgo unito già volge a danni tuoi l’armi e’l furore.

Aspasius Mein Herr, kein Zögern mehr: Das Volk will zusammen mit den Priestern des Tempels seinen Zorn und die Waffen gegen dich richten.

Prefetto Che ascolto o Dei?

Präfekt Oh Götter, was höre ich!

Aspasio Lo scempio appena udito che magica empietà fé di tua prole, la plebe accorse a vendicare intesa l’onta del genitor, del Ciel l’offesa. Poscia in udir che del tuo duolo ai prieghi di possanza infernal forza rubella nel sen di Flavio infonde con sacrilega fé vita novella…

Aspasius Sobald das Volk vom schlimmen Verbrechen magischer Ruchlosigkeit gegen deinen Sohn erfuhr, eilte es herbei, um die Schmach des Vaters und des Himmels zu rächen. Danach aber, als es hörte, dass dank deiner schmerzvollen Bitte, höllische, mächtige Kräfte in Flavius mit neuem Leben auch einen frevelhaften Glauben hinein fließen ließen …

Prefetto Segui, che fia?

Präfekt Los, sprich weiter, was ist passiert?

Aspasio L’amor cangiato in ira, chi vendicar bramò punir sospira. Signor, chi lento in castigar l’eccesso del fallo che soffrì fa reo sé stesso.

Aspasius Aus der Liebe wurde Zorn und diejenigen, die dich zuvor rächen wollten, wollen dich nun bestrafen. Mein Herr, wer mit der Bestrafung des Verbrechens zögert, ist der Folgen der Missetaten selbst schuldig.

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Sant’Agnese ƒ Seconda Parte

Prefetto

Discordi pensieri ch’il cor dividete, o ardite più fieri o miti tacete. Amore ed Astrea mi taccian d’ingiusto; è prole, ma rea, son padre, ma giusto.

Sant’Agnese ƒ Zweiter Teil

Präfekt

Widersprüchliche Gedanken, ihr spaltet mein Herz: entweder sollt ihr es mit mehr Kraft wagen, oder milde sein und schweigen. Liebe und Asträa, (12)



beide beschuldigen mich der Ungerechtigkeit. Flavius ist mein Sohn, aber er ist schuldig, ich bin sein Vater, aber ich muss gerecht sein.



Aspasio Nel tuo sen generoso, figlio della ragion, regni il rigore.

Aspasius Die Strenge, als Folge der Vernunft, lenke dein großmütiges Herz.

Prefetto Amore ed Astrea etc.

Präfekt Liebe und Asträa etc.





Aspasio il cor ch’in tua virtù s’affida dell’empio culto a te la strage assegna, che dove impera il duol ragion non regna! Adora il figlio una bellezza infida, more e nemico ai sommi Dei rinasce; i tumulti e le grida odo del volgo a mie ruine intento, onde in un sol momento per affligger quest’alma unì la sorte amore, infedeltà, congiure e morte.

Aspasio

D’aspro duol non sia ricetto nobil petto. Del mio brando ai lampi e all’ire fuggan l’ombre del timor e se un’ Idra è il tuo martire

Aspasius, ich verlasse mich auf dich: Du sollst diesen ruchlosen Glauben niederschlagen, denn wo der Kummer herrscht, kann die Vernunft nicht regieren. Mein Sohn betet eine gefährliche Schöne an, er stirbt, dann wird er wieder zum Leben erweckt, aber als Feind unserer Götter; ich höre den Tumult und das Geschrei des Volkes gegen mich: Um diese meine Seele zu quälen, hat das Schicksal auf einmal Liebe, Untreue, Verschwörungen und Tod vereinigt.

Aspasius

Eine edle Brust soll keinen bitteren Schmerz beherbergen. Beim Erblitzen meines wütigen Schwertes werden die Schatten der Angst entschwinden. Wenn deine Qual die Hydra ist, (13)

(12)

Asträa: Einer Überlieferung nach war sie eine Tochter des Zeus und der Themis. Sie symbolisierte die Gerechtigkeit.

(13)

Die Hydra war eine große, mehrköpfige Schlange, die in der Gegend von Lärna Schrecken verbreitete, indem sie Menschen und Tiere umbrachte. Herkules tötete sie als zweite seiner Zwölf Arbeiten.

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Sant’Agnese ƒ Seconda Parte

Sant’Agnese ƒ Zweiter Teil

wird meine Strenge Alkydes sein. (14) Süße Hoffnung, kehre endlich in dein leidendes Herz zurück: Diese böse Dreistigkeit, die schlimmen Schmerz verursacht hat, wird verlöschen. Wenn deine Qual wie die Hydra ist, wird meine Strenge Alkydes sein.





fia l’Alcide il mio rigor. Rieda omai nel cor che geme dolce speme. Languirà quell' empio ardire che dié vita a rio dolor e se un’Idra è il tuo martire fia l’Alcide il mio rigor.







Su su ministri fieri eccitate l’ardor di fiamma ultrice e provi alma infelice se più pesante è il giogo di regger scettri o d’avvampar nel rogo.



Los, los grausame Vollstrecker meiner Befehle, entfacht das rächende Feuer. Jene unglückliche Seele soll erfahren, ob es schwerer ist, das Zepter der Macht in der Hand zu halten oder auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.

S. Agnese Vengano a mille a mille in me gl’affanni: agl’incendi, alle pene, ai ceppi, alle catene! L’empietà mi condanni che a quest’alma fedel sarà il tormento neve al sol, piume al foco e polve al vento.

Heilige Agnes Zu Tausenden sollen die Martern kommen: Auf zu den Scheiterhaufen, zu den Qualen, zu den Fesseln, zu den Ketten. Die Ruchlosigkeit soll mich ruhig verurteilen: Meiner treuen Seele wird jede Pein so flüchtig sein wie Schnee in der Sonne, Federn im Feuer oder Staub im Wind.

Flavio

Flavius Oh Gott, möge doch die Seele, die deine Gabe ist, zu dir zurückkehren. Wüte doch der Zorn gegen mich, für mich entbrenne der Scheiterhaufen. Mitleid, das wie eine Strafe wirkt, soll mir nicht die Möglichkeit verweigern, mich nach gerechtem Kampf der grausamsten Martern zu rühmen. Purpur, Zepter, Krone, ihr seid Ausdruck einer vergänglichen Größe, Qual und Verderben aus kostbarem Gold. Die Seele verachtet euch, und losgelöst von ihrer zerbrechlichen Hülle wird sie auf einem Scheiterhaufen aus Sternen wie der Phönix im Himmel zum neuen Leben auferstehen.

L’alma, o Dio ch’è tuo dono a te si renda, in me l’ira si volga, per me il rogo s’accenda, dispietata pietade a me non tolga far in nobil tenzone de' più crudi martiri un serto al crine. Ostri, scettri, corone d’effimera grandezza pretiosi tormenti, auree ruine, l’alma che vi disprezza, sciolta dal fragil velo, sovra pira di stelle rinascerà nova Fenice in Cielo.

(14)

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Alkydes: Beiname des Herkules als Nachfahre des Alceo. 89

Sant’Agnese ƒ Seconda Parte

Sant’Agnese ƒ Zweiter Teil

S. Agnese Pigri momenti

Heilige Agnes Langsame Momente

Flavio

Cari tormenti

Flavius

Geliebte Qualen

a due

O Dio che più tardate, il volo omai sciogliete,

beide

Oh Gott, wieso zögert ihr noch, lasst mich losfliegen.

S. Agnese onde l’alma penante

Heilige Agnes So wird die leidende Seele

Flavio

onde il mio core amante

Flavius

So wird mein liebendes Herz

a due

del sospirato ben giunga alle mete. Chi di voi cari martiri mi darà la dolce palma per beare i miei desiri? Non più dimore, o pene, hore volate! E sarete a quest’alma

beide

das ersehnte Glück erreichen. Welche von euch, ihr süßen Qualen, wird mir die Palme des Sieges überreichen und somit meine Wünsche erfüllen? Kein Zögern mehr, ihr Martern; Stunden, ihr sollt im Nu vergehen



S. Agnese quanto veloci più

Heilige Agnes und je schneller ihr seid,

Flavio

quanto crudeli più

Flavius

und je grausamer ihr seid,

a due

tanto più grate.

beide

um so mehr werdet ihr willkommen sein.

Aspasio Flavio, i deliri tuoi pongo in non cale; esca di cieco ardore, folle tu sogni e per te parla Amore. In te maga crudel l’ira rivolgo, ecco il rogo bramato, gl’ardenti miei furori nelle ceneri tue restino spenti e del guardo adirato sian delitie più care i tuoi tormenti. 90

Aspasius Flavius, ich achte nicht auf deine sinnlosen Wörter. Du bist Beute einer blinden Leidenschaft, du Verrückter, du träumst und Amor spricht für dich. Du schlimme Hexe, du wirst das Ziel meines Zornes sein. Da ist der ersehnte Scheiterhaufen: In der Asche wird meine brennende Wut verlöschen und mein zorniger Blick wird deine Folter genießen. 91

Sant’Agnese ƒ Seconda Parte

Sant’Agnese ƒ Zweiter Teil

Madre Sian delitie più care i suoi tormenti? Ferma figlia, deh ferma, e qual m’appresti in teatro d’horror tragica scena?

Mutter Ihre Folter genießen? Oh Tochter halte an, bitte halt an! Welcher tragischen Szene in diesem schrecklichen Schauspiel muss ich beiwohnen?

S. Agnese Con affetti molesti madre qual’hor ritardi di quest’alma i trofei più crudel d’ogni pena a me tu sei.

Heilige Agnes Mutter, wenn du mit dem unpassenden Ausbruch deiner Gefühle den Sieg meiner Seele hinauszögerst, bist du zu mir grausamer als jede Marter.

Madre

Mutter

Ai tormenti più severi deh t’involi il pianto mio e più miti i tuoi pensieri si ribellino al desio. Nel seno d’un empio trionfi il rigore, con barbaro scempio s’avventino strali, di fiamme letali fomenti l’ardore la face d’Aletto, ma contro il mio petto. Ordisca il tiranno spietate ritorte, prepari ogni affanno schernita possanza, con fiera sembianza diffonda la morte il freddo veleno, ma contro il mio seno.

Aspasio Folli, a gara chiedete i propri scempi, ma d’Agnese i martiri fiano ai vostri deliri horridi esempi.

Bitte, meine Tränen sollen die schlimmste Folter verhindern. Sei vernünftiger und widersetze dich deinem eigenen Wunsch. Es triumphiere die Strenge im Herzen des Frevlers, mit barbarischer Zerstörung sollen feurige Pfeile geschleudert werden, die Fackel von Aletto (15) soll das tödliche Feuer entzünden – aber all dies gegen mich! Es bereite der Tyrann harte Ketten, die beleidigte Macht verursache jede Art von Kummer, voller Hochmut soll der Tod sein kaltes Gift verbreiten – aber alles gegen mich!

Aspasius Ihr Verrückten, ihr wetteifert um eure Zerstörung, aber das Martyrium der Agnes wird ein schreckliches Vorbild für euren Wahn sein.

(15)

Allekto: Eine der drei Erinnyen (bei den Römern Furien), die Göttinnen der Rache.

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Sant’Agnese ƒ Seconda Parte

Sant’Agnese ƒ Zweiter Teil

S.Agnese Che più tardi o mio cor? Con vaghi lampi t’invita il rogo e pur tu sei di gelo alle fiamme, alle fiamme, al Cielo, al Cielo.

Heilige Agnes Mein Herz, wieso wartest du noch: Der auflodernde Scheiterhaufen lädt dich ein und du erstarrst zu Eis. Los, los zum Feuer, zum Himmel.

Flavio

Flavius Oh unerhörtes Wunder! Schau hin, du ungläubiges Monster: Das Feuer spaltet sich und die tödlichen Flammen verbeugen sich durch die Kraft der Liebe vor Agnes Fuß. Selbst das wütende Element ändert seine Natur und betet die schöne Reinheit der Unschuld an.

O portento inaudito, mira, mostro infedele: il rogo si divide e le fiamme omicide solo d’amore accese, chinan l’altere fronti al piè d’Agnese e cangiando natura crudo elemento ancora il bel candor dell’innocenza adora.

Aspasio Mora l’infida mora, e se magico incanto valse a destar pietà nel foco istesso, rimanga un empio cor dal ferro oppresso.

Aspasius Es sterbe die Perfide, sie soll sterben, und wenn eine Zauberei sogar das Feuer zu Mitleid bewegen konnte, soll mein Schwert dieses untreue Herz niederschlagen.

S. Agnese Cedo il core a dolci pene per rinascere a quel bene che in eterno adorerò. Mio Gesù discopri omai di tua luce i vaghi rai, che nel grembo del tormento di contento morirò. Già dal ferro trafitta io cado esangue io moro, o Flavio, io manco, o Madre io spiro e l’estremo respiro di questo sen che langue altro da voi non chiede che se costante amor ne strinse in terra, ci unisca in Cielo un’immutabil fede.

Heilige Agnes Ich übergebe mein Herz der süßen Pein, um wiederzuerstehen bei jenem höchsten Gut, das ich auf ewig anbeten werde. Mein Jesus, zeige nun die schönen Strahlen deines Lichtes: So werde ich im Schoß der Qual selig sterben.

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Durch das Schwert erschlagen, falle ich kraftlos nieder, oh Flavius, oh Mutter, ich sterbe. Und schmachtend, mit dem letzten Atemzug bitte ich euch nur um eines: So wie uns auf Erden eine standhafte Liebe verbunden hat, so soll uns im Himmel ein unabänderlicher Glaube vereinigen.

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Sant’Agnese ƒ Seconda Parte

Madre, Flavio Sparsa d’horror mortale

Sant’Agnese ƒ Zweiter Teil

Madre tu giaci o figlia al suolo,

Mutter, Flavius Der schreckliche Tod hat dich übermannt, Mutter du liegst da auf der Erde, oh meine Tochter,

Flavio tu giaci Agnese al suolo,

Flavius oh Agnes, du liegst da auf der Erde,

a due ma con affanno eguale l’alma dal petto mio discioglie il volo,

beide aber der gleiche Kummer löst auch meine Seele und sie fliegt empor;

Flavio tu dal ferro trafitta, io dal dolore.

Flavius du wurdest vom Schwert erschlagen, ich vom Leid.

Madre tu martire dell’ira ed io d’amore.

Mutter du warst Opfer des Zornes, ich der Liebe.

- Il fine -

- Ende -

Wortgetreue Űbersetzung aus dem Alt-Italienischen ins Deutsche: Serena Malcangi

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Impressum Herausgeber und Veranstalter: Innsbrucker Festwochen der Alten Musik GmbH, Geschäftsführung/Managing Director: Mag. Sarah Wilson, Historisches Rathaus der Stadt Innsbruck, Herzog Friedrich Strasse 21/1, A-6020 Innsbruck Tel.: +43(0)512571032, Fa x: +43(0)512563142, fest [email protected] Redaktion und Texte: Mag. Carsten Hinrichs; Originalbeiträge unterliegen den © Festwochen/Autor; Redaktionelle Mitarbeit: Philip Brunnader, Nina Fuchs, Sophia Neuschmied, Andreas Holzmann; Fotos: Klaus Rudolph (S. 7), Staatl. Kunstsammlung Dresden/Gemäldegallerie Alter Meister/J. Ribera (S. 48/Design: CITYGRAFIC), S. Zani (s. 4), Künstlerfotos: Agenturen; trotz Recherche konnten

bis Redaktionsschluss nicht alle Rechteinhaber ermittelt werden, wir sind aber selbstverständlich bereit, etwaige Ansprüche marktüblich abzugelten und bitten die Inhaber, sich mit uns ggf. in Verbindung zu setzen; Konzeption und Grafik: CITYGRAFIC, www.citygrafic.at; Druck: Alpina Druck Innsbruck; Druckund Satzfehler vorbehalten; Redaktionsschluss: 13. August 2008; Besetzungsund Programmänderungen vorbehalten. Preis: € 5,00 inkl. MwSt.

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